Wir verbringen die Nacht unter dem Sternenhimmel, so wie gefühlt der gesamte Rest des Dorfes. Im Zimmer ist es einfach viel zu heiß, zum Saunieren fehlt uns allen die Lust. Ich bin etwas skeptisch, was die Bettlaken angeht. Eigentlich sind es auch gar keine Bettlaken, sondern eher sehr dicke Decken, die über die Matratzen gelegt wurden. Waschen mehr oder weniger unmöglich. Draußen juckt und krabbelt alles, ich schiebe es auf die Ameisen und probiere zu schlafen, für den nächsten Tag würde ich alle Energie brauchen, die ich bekommen kann.
Die Wecker klingeln um Viertel nach 6. Wir bringen die Matratzen zurück in die Wohnung, dort ist es nur geringfügig abgekühlt. Kurze Zeit später steht das Frühstück auf dem Tisch, es gibt Argan Marmelade. Ich habe noch nie von der Pflanze gehört und bleibe auch nach mehrmaligem Probieren lieber beim Honig. Wir bekommen vom Host noch ein Mittagspaket, danach schwingen wir uns auf die Räder. Heute sind wir eine Stunde früher unterwegs als gestern. Ich fühle mich glücklicherweise nicht komplett erschlagen.
Wir haben sowohl Glück als auch Pech mit dem Wetter. Am Himmel sehen wir keine einzige Wolke, und bereits um 8 Uhr brät uns die Sonne richtig durch. Basil drückt bis zum ersten Anstieg komplett unbeirrt einen 28er Schnitt weg. Ich probiere, wie so oft, einfach nur im Windschatten zu bleiben. Nachher merke ich, dass wir guten Rückenwind haben, immerhin eine Erklärung für den Wahnsinn.
Ich habe 9,5 Liter Wasser dabei, die merke ich gut am Anstieg, dafür schieben sie bergab auch ordentlich. Ich fliege an den „Welcome to the desert – Water is a treasure here, use it wisely” Schildern vorbei, ohne ein Bild machen zu können. Das muss dann wohl am Wüstenausgang nachgeholt werden. Die ersten 28 Kilometer bis nach Mhamid verfliegen. Ab jetzt sollte es interessant werden. Die Straße endet und die Sahara beginnt, vor uns liegen nun ca. 140 Kilometer Wüste. Viel wissen wir nicht, außer, dass es keine festen Straßen und erst recht keine Verpflegungspunkte gibt. Stattdessen werden wir uns einen Weg über die sich stetig ändernden Pfade der Geländewagen suchen müssen. Unsere einzige Möglichkeit, an Wasser zu kommen, sind die vereinzelten Zeltlager entlang der Route. Das erste wird nach 44 km kommen. Wir wurden im Vorfeld oft angesprochen und über die Wüste gewarnt. Direkt danach wurden uns aber jedes Mal Sonderangebote für Camps in der Wüste gemacht. Das Ganze fühlt sich plötzlich nicht mehr wie ernsthafte Sorge, sondern mehr wie eine Geschäftsmasche an. Wir sind ja außerdem erfahrene und topfitte Radreisende. Immerhin, das Erste, trifft auf alle von uns zu.
Unbeirrt machen wir uns also auf den Weg in die Wüste. Die ersten Kilometer laufen sehr gut. Die Piste ist zwar ruckelig, aber immer noch gut fahrbar. Wir machen gute Distanz, bis wir zum ersten Sandstück kommen. Jeglicher Fortschritt wird ausgebremst. Von nun an beginnt eine Odyssee unter der immer stärker werdenden Sonne. Kurze, kaum fahrbare Stücke, Schieben durch tiefen Sand und komplett ausgewaschene Pisten, die für Blasen an meinen Händen sorgen, wechseln sich ab. Jeder Meter muss hart erkämpft werden, die Sahara verteilt keine Geschenke. Groß orientieren brauchen wir uns nicht, es geht nur in eine Richtung. Wir suchen nur nach dem Weg des geringsten Widerstandes. Pausen machen wir keine. Es gibt zu wenig Schatten, und mit jeder Minute wird es heißer.
Ich werde langsam gebraten und merke, wie die fehlenden Pausen mir zusetzen. Irgendwann halten wir an, immerhin bringt der Wind etwas Kühlung. Ich atme eine Packung mit fünf Madeleines ein und schiebe ein flüssiges Snickers hinterher. Vieles erinnert an unsere Fahrt durch Kasachstan: Es ist heiß, am Straßenrand gibt es nichts zu sehen und mögliche Verpflegungspunkte sind rar. Nur gab es damals immerhin eine Straße und Schatten und Bushaltestellen (die, wie Jack sich passend erinnert, ziemlich nach Urin gestunken haben).
Danach geht es weiter, inzwischen kann ich die Hände kaum noch auf dem Lenker abstützen, zu sehr werden sie wund durch die Erschütterungen. Auch hier ist der Körper nicht an die Belastung gewöhnt. Die letzten 20 Kilometer tun richtig weh und sind rückblickend nur ein Strudel aus Hitze und Müdigkeit. Jack leidet auch, er hat zusätzlich immer noch leichte Kopfschmerzen von seinem Hitzeschlag. Nur Basil fährt jubelnd durch alle Sandstücke, bergauf und bergab. Wir schieben dabei schon lange. Ich kämpfe mich durch die letzten Kilometer, mein einziges Ziel: der Schatten im Zeltlager und hoffentlich eine Cola.
Je näher wir den Zielkoordinaten kommen, desto mehr beschleicht mich ein ungutes Gefühl. Wir können am Horizont kein Zeltlager sehen und hoffen, es ist nur versteckt hinter einer Düne gelegen. Endlich auf der Düne folgt die Ernüchterung, kein Lager am gesetzten Pin. Ich bekomme Flashbacks zum fehlenden Zeltlager in Tadschikistan, nur ist es diesmal heiß statt viel zu kalt.

Aber in der Entfernung sehen wir ein Lager. Es ist noch mal ein Kilometer, ich laufe eigentlich schon auf meinen letzten Kraftreserven. Irgendwie schleppe ich mich dennoch dorthin und schiebe am Ende das Rad quer durch den Sand. Angekommen an der Unterkunft, folgt die Ernüchterung. Ohne dass wir etwas sagen, wird uns klar gemacht, wir sind hier falsch. Das Camp ist ein Luxus-Camp, Preis pro Nacht 300 €. Definitiv nicht das, was drei zerzauste, dreckige Bikepacker buchen würden. Wir sollen uns dennoch erstmal in den Schatten setzen. Die Männer bringen uns Cola und es wird eine Lösung bzw. eher unser Zeltlager gesucht. Nach etwas Hin und Her hat einer der Männer unseren Gastgeber am Telefon. Es gibt zusätzliche Verwirrung, da wir keine zwei Zelte bezahlen wollten, haben wir nur für zwei Personen reserviert. Es gäbe aber genug Zelte mit ausreichend Betten, die waren bei booking.com jedoch nicht auswählbar. Dementsprechend ist die Verwirrung groß, wieso plötzlich drei Gäste abgeholt werden müssen. Und abgeholt werden ist wichtig, ich habe keinen weiteren Kilometer mehr in den Beinen, am Ende fahren wir mit unseren Rädern im Pickup fast 12 km bis zum Camp. Ohne den Abholservice wären das mindestens nochmal zwei Stunden gewesen.
Im Camp angekommen, vegetieren wir erstmal nur noch im Schatten. Von unserer Übernachtung hatten wir noch Sandwiches, die wir bisher nicht gegessen haben. Mehrere Gläser Tee mit Zucker beleben die Lebensgeister etwas. Irgendwann fühle ich mich wieder bereit, zu duschen. Der Rest macht seine üblichen Liegestützen, ich bin froh, dass ich noch am Leben bin. Wir verbringen den Rest des Abends mit Planungen für die nächsten Tage und erholen uns im Luxus des Lagers von den Strapazen. Im Vergleich zu den restlichen paar Gästen geben wir ein interessantes Bild ab.
Zurück zum Anfang