​​​​​​​Früher als erwartet hat meine Zeit auf dem Rad in Georgien ein Ende. Glücklicherweise konnten wir uns auf einen Ruhetag zusammen auf dem Campingplatz einigen. Wir alle brauchen etwas Erholung und die freie Verfügbarkeit von Essen, ohne Rationierung, ist angenehm. Ich nutze den Tag um mich weiter um meine Bewerbung für das China Visum zu kümmern. Der Weg durch China würde es mir ermöglichen einen Flug von Kirgisistan nach Indien zu sparen und so möglichst viel Strecke auf dem Landweg zu absolvieren. Auch wäre so der Übergang von ruhiger einsamer Bergwelt zu dem geschäftigen Treiben Indiens deutlich angenehmer. China reizt mich ohnehin, gerne würde ich das Land mal mit meinen eigenen Augen sehen. 
Jack will so früh wie möglich nach Kasachstan fliegen um später auf dem Pamir Highway und in Kirgisistan genügend Zeit zu haben, bevor es richtig kalt wird. Er selber hat kein Interesse an China und will lieber fliegen. Das ganze kollidiert mit meinen Plänen mir das Visum in Tbilisi zu besorgen. Denn dafür brauche ich vorallem eins, Zeit. Anträge können nur Montags, Mittwochs und Freitags eingereicht werden. Außerdem müsste ich noch eine ganze Reiseplanung für China ausarbeiten und dabei auch alle Flüge, Hotels und sonstige Tickets buchen, auch wenn ich danach alles wieder storniere weil ich mit dem Rad fahre. In der Vergangenheit war dies immer nötig und die Erwähnung von Radfahren oder dem Überqueren der Landesgrenzen aus Zentralasien ein Garant für die Ablehnung des Antrages. Bei Einreise über die Landesgrenzen gelangt man in das Uighuren Gebiet Xinjiang, in dem China keine Touristen haben möchte. Ein Einladungsbrief einer Person in China erhöht die Chancen auf ein Visum, wirklich gut fühle ich mich aber nicht dabei eine fremde Person zu nutzen und über meine Reisepläne zu lügen. Zu groß ist die Sorge, dass sie wegen mir vielleicht Schwierigkeiten bekommen könnte. Es ist alles also nicht so einfach und die fehlende Zeit, sowie die Aussicht auf weitere harte Tage im georgischen Hinterland machen das ganze nur noch komplizierter. 
Der Informationenaustausch zwischen Radreisenden läuft meist über viele verschiedene WhatsApp Gruppen, in denen permanent Nachrichten auf meinem Handy aufploppen. Eine aktuell besonders hilfreiche Gruppe ist aber die zum chinesischen Visum. Eine Nachricht erzeugt besondere Aufmerksamkeit bei mir. Ein deutsches Paar hat in Tbilisi in nur zwei Tagen ihr Visum erhalten und das komplett ohne Planung und ohne Einladungsbrief. Das erzeugt Hoffnung in mir, das Visum scheint wieder in erreichbarer Nähe. Das grundlegende Zeitproblem besteht allerdings immernoch. Schweren Herzens entscheide ich mich also am nächsten Tag mit dem Bus der zweimal die Woche zwischen Shatili und Tbilisi verkehrt vor zu fahren. Dadurch gewinne ich vier Tage und kann meinen Antrag am Montag anstatt am Freitag abgeben, was genug Zeit ist um das Visum vor dem Abflug am Dienstag der nächsten Woche zu erhalten. Trotzdem sitze ich erstmal ziemlich geknickt auf dem Campingplatz, es fühlt sich mies an vorzeitig abzubrechen, vorallem da dies bisher der beste Teil der Reise ist. Trotzdem ist es die beste Entscheidung.
Ich genieße noch den Abend mit dem Rest, wir sitzen in einer größeren Gruppe am Lagerfeuer und tauschen Geschichten aus. Auch eine dreier Gruppe Russen sitzt dabei. Besonders spannend finde ich ihren Druckkochtopf, der mehrere Kilos wiegen muss. Zu späteren Stunde unterhält sich Ed ein Engländer mit einem der Russen lange über Google Übersetzer. Jedes kritische Gesprächsthema zwischen Immigration, Energiewirtschaft und Schwulen- und Lesbenrechten wird angerissen und überall vertritt sein Gesprächspartner eine doch sehr kontroverse Meinung. Ed berichtet später, dass ein extremes ihr gegen uns, der Westen macht dies und das Denken vorherrscht, ohne das wirklich differenziert wird. Der Russe (ich habe leider keinen Namen) sagt, dass er Angst hat dass durch Kollaps des Westens, da dieser auf erneuerbare Energien setzt, welche nicht funktionieren, auch Russland am Ende kollabieren wird. Er macht sich so Sorgen um seine Kinder und Schuld wären wir. Eine interessante Meinung, die uns alle mit fehlensen Worten zurück lässt.
Am nächsten Morgen packe ich entspannt meine Sachen, mein Fahrrad liegt schon seit dem Vortag im nicht abschließbaren Heckfach des Busses. Der Rest macht sich auf den Weg, ich habe noch zwei Stunde bevor mein Bus fährt. Pünktlich zu ihrer Abfahrt fängt es ordentlich an zu regnen, ich rette mein Zelt, das eigentlich zun trocknen draußen liegt und beschaue mir danach den Regen aus einem Pavilion. Der Schmerz ein weiteres großes Abenteuer zu verpassen wird dadurch etwas gelindert.
Irgendwann sitze ich dann im Bus, es ist ziemlich voll, mein Rad versperrt zusätzlich das gesamte Gepäckfach. Im Mittelgang des alten Busses (wie so viele alte Fahrzeuge mit deutschen Schildern im Inneren) stapeln sich die Wanderrucksäcke. Auf dem Weg Richtung Shatili war die Straße sehr abenteuerlich, aber perfekt für unsere Mountainbikes. Der alte Bus nimmt schwankend den gleichen Weg zurück, es ist interessant. Der einzige Vorteil den ich mir einrede ist, dass falls der Bus liegen bleibt ich immernoch mit meinem Rad weiter fahren kann. Bergauf ist es im Bus jedenfalls deutlich angenehmer als auf dem Rad und ich freue mich die tolle Aussicht nochmal entspannt genießen und mit der Kamera festhalten zu können. Es dauert sehr lange bis der Bus wieder auf befestigte Straßen kommt und so komme ich erst spät in Tbilisi an.
Im Hostel kann ich irgendwie trotzdem noch nicht einchecken, ist aber okay so habe ich genug Zeit um das sehr umfangreiche Online-Formular der chinesischen Botschaft auszufüllen. Ich schreibe noch einen Brief vor, buche, ein Hotel und speichere Busfahrpläne von Kasachstan nach China. Dann habe ich alle meine Unterlagen bereit. Eine Eigenart des Visa Prozesses ist es, das trotz Online-Formular alle Unterlagen persönlich in der Botschaft abgegeben werden müssen. Es werden aber immer nur 35 Personen pro Tag eingelassen, wer zu spät dort ist muss ein ander Mal wieder kommen. Als fortschrittliches System hat sich eine Papierliste eingebürgert, in die sich am Vorabend oder am frühen Morgen eingetragen wird. Die Liste wird von der ersten Person an der Botschaft auf einem beliebigen Stück Papier angefangen. Ich begebe mich also noch am späten Abend zur Botschaft und fange auf einer Brötchentüte vom Supermarkt gegenüber eine Liste an. Trotzdem ist es ratsam früh zu erscheinen, jemand anders kann einfach eine neue Kiste erstellen und schon steht man nicht mehr drauf.
Am nächsten Morgen ist meine Liste natürlich weg, ob es der mürrische Wachmann war, der mir auf gutem Englisch klar machen wollte dass er kein Englisch spricht und ich Papier gegenüber kaufen gehen soll, oder jemand anders, weiß ich nicht. Auf der neuen Liste bin ich auf Platz 14, das ganze kommt mir aber entgegen, ich muss schließlich noch alle meine Dokumente ausdrucken. Am Abend war es zu spät und am Morgen zu früh für einen offenen Copyshop. Also fange ich an verschiedene Hotels abzuklappern. Im "British House" wird mir sehr freundlich geholfen. Der Drucker macht aber lange Probleme und ich werde langsam nervös. Am Ende geht alles gut, ich komme früh genug wieder an der Botschaft an und die Liste liegt noch aus. Inzwischen warten ein paar mehr Leute davor, alle schauen neidisch, als ich meinen Campingstuhl auspacke. Irgendwann fängt ein anderer (und freundlicherer) Pförtner an die Leute einzeln in die Botschaft zu lassen. Ich werde langsam immer aufgeregter. Ein Mann drängelt sich noch vor mich, dann bin ich dran.
Nervös wie bei einer Universitätsklausur stehe ich vor dem Mitarbeiter und händige ihm meine Dokumente aus. Habe ich alles richtig angegeben? War mein Weg ohne Brief und ohne richtige Reiseplanung vielleicht doch eine dumme Idee? Um wie viele Tage wird mein Visum eingekürzt oder bekomme ich vielleicht gar keins? Ein Klassiker bei der Bewerbung ist es, das trotz Buchungen und genauester Planung, die Anzahl der Tage und die Dauer der Gültigkeit gekürzt wird. Der Mitarbeiter schreibt viele Nachrichten an seinem Handy, zwischendurch nimmt er aber Fingerabdrücke und ein Foto von mir auf. Es beruhigt mich etwas, trotzdem bin ich noch am zittern. Am Ende geht dann aber alles gut. Ich bekomme mit 90 Tagen Aufenthalt und 6 Monaten Gültigkeit das maximalmögliche Visum, auch wenn ich eigentlich gar nicht vorhabe so lange zu bleiben. Es ermöglicht mir eine Vielzahl von Wegen und neuen Plänen die ich mir jetzt überlegen kann.
Die restlichen Tage in Tbilisi verlaufen unauffällig und bestehen zu großen Teilen aus viel Schlaf und täglichen Besuchen verschiedener Fahrradläden um Ersatzteile zu kaufen und Reparaturen vornehmen zu lassen. An einem Abend treffe ich Anni und ihren Couchsurfing Host, wir hatten uns bereits in Uschguli getroffen und waren ein paar Kilometer zusammen gefahren. Mit den anderen Jungs ziehen wir in ein Airbnb, bevor es Zeit ist sich von Basil zu verabschieden. Jack und mir fällt der Abschied nicht leicht, zu lange waren wir als dreier Gespann unterwegs. Es ist bemerkenswert, wie aus einer zufälligen Begegnung an einem windigen Tag in Kroation eine solch enge Kameradschaft und Freundschaft entstehen kann. Ich kann mir die Tour inzwischen gar nicht mehr ohne die Gruppe vorstellen.
Den Blogeintrag schreibe ich schon seit mehreren Tagen und gerade sitze ich, um xer Hitze zu entgehen, in dem Schatten einer großen Bushaltestelle mitten in der kasachischen Steppe. Die Entwicklung über die Reise ist spürbar. Ich weiß joch wie stolz ich war den Gardasee mit meinen eigenen Augen gesehen zu haben, nur mit dem Einsatz meiner Beine. Inzwischen bin ich so viel weiter. Hätte jemand dem Jonas, der am ersten Tag seiner Tour einsam und etwas verloren in einer Pizzeria sitzt, gesagt wo er in vier Monaten sein wird, ich glaube er hätte es nicht geglaubt. Der Abschied war hart und auch jetzt wo ich zurückblicke fehlt das freudige Gefühl des Aufbruchs. Vielleicht gehört das dazu, vielleicht ist das bei anderen anders. Ich bin froh über die Gesellschaft, ich habe fast Zweifel, ob ich ohne sie so weit gekommen wäre. Ich habe durch die Jungs mehr gelernt als nur Struktur am Morgen und schnelles Zeltabbauen (worin ich sie immer noch nicht erreiche). Ihre Gesellschaft hat mir den Mut und das Selbstbewusstsein gegeben diese Reise so zu gestalten wie ich es mir gewünscht hatte, aber alleine vielleicht aus Angst, vielleicht aus Unsicherheit, wohl nicht gemacht hätte. Im Sport bin ich schon öfter über mich hinaus gewachsen, aber hier auf der Tour fühlt es sich nochmal anders an. Die Konsequenzen sind größer, aber die Sicherheit der Gruppe, in der jeder mit allem was er hat für die anderen einsteht, ist befreiend. Das neue Vertrauen lässt mich auch jetzt schon in Situationen auch außerhalb des Fahrrades anders agieren und ich bin froh über diese Veränderung. Bei der Reise ging es für mich nie um Selbstfindung, ich wollte einfach schauen wohin mich meine Beine und ein Fahrrad bringen. Ein Blick auf die Karte zeigt, dass ich schon ziemlich weit gekommen bin. Der Blick in mich hinein und auf all die Erlebnisse, die eine Karte nicht festhalten kann, zeigt erst wie weit ich eigentlich gekommen bin.
Auf vier weitere Monate
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