Ich rede mir ein, dass diesmal alles einfacher wird mit dem Tragen des schweren Gepäcks, eigentlich kenne ich den Weg jetzt ja. Trotzdem verlaufe ich mich erstmal und mache eine Runde extra. Die Taschen sind während der Zeit in Xi'An leider nicht leichter und die Gurte nicht bequemer geworden. Das nächste Problem ergibt sich kurze Zeit später. Ich fahre zum Bahnhof, an dem ich auch angekommen bin, der im Norden der Stadt liegt. Kurz vorher realisiere ich, über diesem gibt es noch einen weiteren und das ist der richtige Nordbahnhof. Ich muss also umplanen. Das Zugticket kaufe ich in der Bahn. Ich denke, dass die Abfahrt in einer Dreiviertelstunde realistisch ist. Nachgesehen wie lange die Bahn bis dorthin braucht, habe ich aber nicht. So komme ich am Bahnhof an, Messer wieder in der Unterhose und merke, dass es sehr knapp mit meinem Zug wird. Nach dem Security Check renne ich so schnell wie die Taschen es zulassen zum Gate, aber es ist zu spät. Ich werde nicht mehr durchgelassen, auch wenn der Zug erst in drei Minuten abfährt. Ich muss also mein Ticket umbuchen. Inzwischen ist das Gepäck so unangenehm, dass ich im Bahnhof mehrere Pausen einlegen muss. Zum Glück lässt sich das Ticket aber trotz meines Verschuldens kostenlos umbuchen und die nette Dame am Schalter sorgt sogar noch dafür, dass ich einen Sitzplatz und keinen Stehplatz bekomme. So warte ich auf meinen Zug, der diesmal ein "Bullet Train", also der chinesische Highspeed Zug ist.
Die Fahrt geht entsprechend schnell, aber ist trotzdem sehr sehr komfortabel. Der Zug hat sogar eine Tafel mit Geschwindigkeitsangabe. Mit teilweise 247 km/h surrt er dahin. Nun ist auch ein deutlicher Wechsel in der Landschaft zu sehen. Es wird plötzlich deutlich bergiger, auch wenn der Zug hauptsächlich durch Tunnel und nur selten mal durch offene Täler fährt. Die Aussichten sind klasse, alles ist grün, ich freue mich extrem bald wieder auf mein Rad zu steigen. Ich sehe ein ganz anderes China als zuvor. An die Stelle flacher offener Steppe treten jetzt grüne Hügel. Auch die Häuser sind immer weiter verteilt, nicht mehr so in Städten konzentriert wie in Xinjiang.
Vom Bahnhof schleppe ich meine Sachen zur Straßenbahn, ein letztes Mal verstecke ich mein Messer und fahre weiter zum Hostel. Über eine der WhatsApp Gruppe habe ich eine Empfehlung für ein Hostel, dort treffe ich auch das Schweizer Paar aus Kashgar wieder. Schon auf dem Weg von der Straßenbahn fangen sie mich zufällig ab, wir verabreden uns zum gemeinsamen Abendessen. Ich checke ins Hostel ein und nehme auch mein neues Kameraobjektiv in Empfang, eine kleine Erweiterung, die ich mir zu meinen bisherigen Zweien gegönnt habe.
In den nächsten Tagen passiert wenig. Eigentlich sollten die Räder am nächsten Tag zugestellt werden, aber es kommt nichts. Mit dem Unternehmen gab es Verständigungsprobleme und die Angestellten im Hostel scheinen auch wenig daran interessiert zu sein, uns zu helfen. Jeden Tag stehen wir mit der Hoffnung auf, dass heute endlich etwas passiert, verlassen auch nicht das Hostel, da wir vor Ort sein wollen, wenn die Räder ankommen. Aber lange Zeit passiert nichts. Anrufe gehen ins Leere und wir werden einfach immer weiter vertröstet. Ich bin zwischenzeitlich etwas krank, das Warten ist für mich also nicht so schlimm, aber für die Zeit, die ich in der Stadt verbracht habe, habe ich quasi nichts gesehen. Irgendwann wende ich mich an den Besitzer des Hostels, welcher eine Reihe von Hostels hat und daher nie in unserem ist. Er kann endlich das Problem aufklären. Im Unternehmen wurde die Adresse des Hostels falsch übertragen und anscheinend wurde vom Hostel eine falsche Handynummer angegeben. So kam es nie zu einer richtigen Verständigung und die Mitarbeiter im Hostel haben das bei ihren Anrufen dort auch nie richtig geklärt. Am nächsten Tag sind unsere Räder endlich da.
In der Zwischenzeit haben sich noch ein Schweizer Radfahrerpaar und ein deutsches Paar auf einem Tandem im Hostel eingefunden. Alle sind in meinem Alter und es ist eine schöne Gesellschaft. Nachdem das Rad endlich da ist, kann ich auch mit ruhigem Gewissen die Stadt erkunden gehen. Die Schweizer wollen aber schon zusammen losfahren und ich gerne zusammen mit ihnen. Am Ende einigen wir uns darauf, dadurch dass sie eh etwas langsamer sind, uns in Leshan zu treffen. Sie brauchen für die Distanz drei, ich nur zwei Tage. So geht alles gut auf.
Meinen letzten Tag nutze ich für ein wenig Sightseeing. Der "peoples parc" ist der Ort, an dem die Xinhai Revolution in China gegen die Qing Dynasty startete, welche zur Gründung der Volksrepublik China führte. Er ist damit ein wichtiger Ort in der Geschichte Chinas. Es gibt ein kleines Museum, komplett ohne englische Übersetzungen und ein großes Denkmal. Drum herum einen kleinen Markt mit Essen, aber auch Live-Konzerten. Die Musik ist übel, total laut und mehrere Interpreten in nächster Nähe, die alle mit ihrem möglichst schiefen Gesang konkurrieren. Ich schaue lieber, dass ich weiter komme. In der Mitte des Parks ist ein See und drum herum eine Art Riesenbiergarten nur ohne Bier, stattdessen mit Tee. Eine weitere Aktivität, für die die Stadt hier bekannt ist, sind Ohrreinigungen. Bei dem vorherigen Gesang, hätte ich mir lieber etwas im Ohr gewünscht, aber ich gehe das Wagnis trotzdem ein und lasse mir meine Ohren reinigen. Eine lustige Technik sind dabei Klanggabeln, deren Schwingungen genutzt werden, um einen langen Stab mit Watte so vibrieren zu lassen, dass die Ohren ordentlich gesäubert werden. Definitiv eine Erfahrung wert.
Am Abend gehe ich noch mit dem deutschen Paar und einem chinesischen Gast aus dem Hostel Hotpot essen. Sie feiern ein Jahr auf dem Rad. Das Essen ist gut und ich bin wohl gefüllt für die nächsten Tage auf dem Rad.


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