Der Abend hält noch einige Überraschungen für uns bereit. Unser Gastgeber ist immer noch gut gelaunt und genießt unsere Gesellschaft. Dabei ist er kein guter Geschäftsmann. Eine Flasche Wasser soll 2 € kosten, Basil schaut ihn verwundert an, und bevor er etwas sagen kann, korrigiert der Host auf einen Euro. Immerhin entdeckt er durch uns viel neue Musik. Bisher hört er nur marokkanische Musik und Celine Dion. Das Repertoire wird jetzt durch Rock Klassiker, Dire Straits, Bruce Springsteen, Eric Clapton und America erweitert. Wir verbringen noch etwas Zeit in den Dünen, der Sonnenuntergang über der Wüste ist magisch. Im Vergleich zum anderen Camp sind wir hier zwar weniger luxuriös unterwegs, dafür ist die Landschaft hier nochmal etwas interessanter. Die Dünen sind höher und in der Ferne kann man auf der anderen Seite bereits die Ausläufer des Atlas Gebirges sehen. Ich mache ein paar gute Bilder von Jack, danach kommt Basil und die beiden fangen an, Purzelbäume die Düne herunter zu machen. Daran beteilige ich mich nicht, zum einen würde ich mir den Hals brechen, zum anderen bin ich mir ziemlich sicher, dass man mit der bescheidenen Dusche hier nicht alles an Sand los wird. Damit sollte ich auch Recht behalten, am Ende der heutigen Radfahrt klagen beide über Sand in ihren Radhosen und entsprechendem Scheuern.
Als das Abendessen kommt, wird es interessant. Mir ist bereits vorher etwas flau. Ob es am nicht ganz durchgekochten Omelett oder dem Rumgerenne auf der Düne liegt, weiß ich nicht. Ich bin aber vorsichtig, der Gastgeber wirkt nicht wie jemand, der besondere Vorsicht bei der Hygiene walten lässt. Die Tajines kommen. Währenddessen werden wir von Katzen umstreunt, die durch Kuscheln an unseren Beinen ihr Interesse an unserem Essen bekunden. Für mich gibt es wie immer Gemüse, für die Jungs Hühnchen. Das wird jedenfalls angekündigt. Basil nimmt einen großzügigen Bissen und schaut Jack an, der noch etwas verwirrt auf den Knochen in seiner Hand blickt. Irgendetwas stimmt hier nicht. Die Farbe des Fleisches passt nicht, und auch die Knochen sind viel zu fein und lang für Hühnchen. Der Geruchstest bestätigt, das ist kein Hühnchen. Stattdessen riecht es eher seltsam fischig, obwohl es offensichtlich kein Fisch ist. Es wird entschieden, lieber nichts von dem Fleisch zu essen. Stattdessen wird probiert, die aufdringlichen Katzen mit dem Fleisch zu füttern, aber sie wollen es auch nicht, unser Gastgeber hingegen schon. Er greift beherzt in Jacks Schüssel, um ihm zu zeigen, dass das „Hühnchen“ lecker ist. Als Jack dankend ablehnt, probiert er, ihn zu überzeugen, doch noch ein Stück zu nehmen, nicht ohne vorher noch einmal zuzugreifen und das Fleisch durch den Sud in der Tajine zu ziehen. Ein sehr skurriler Moment, ich muss mir das Lachen stark verkneifen. Ab da machen wir Witze darüber, ob nicht vielleicht eine der Katzen für das Abendessen verwendet wurde. Zurück angekommen in der Stadt, googlen wir, primär aus Spaß, wie Katzenfleisch schmecken würde. Die Beschreibung passt erschreckend genau auf die Überreste des rätselhaften Tieres, das für die Tajine das Zeitliche segnen musste.
Zurück zum Abendessen, während wir den Abend mit unserem üblichen Schwachsinn verbringen, kommt ein deutscher Campervan an. Aussteigen tut ein etwas derangiertes, junges Paar. Sie sind nach einem langen Tag verzweifelt auf der Suche nach einem Campingplatz für ihren Camper. Wir schauen uns verwirrt an, wieso Autofahren jemanden in solch einem Zustand hinterlässt, und warum sie ihren Camper nicht einfach irgendwo abgestellt haben. Genug Platz bietet die Wüste ja. Unser Host nimmt den Mann bei der Hand und zieht ihn mit, sie sollen sich die Zelte ansehen, obwohl sie gar nicht wollen. Ihnen fehlt das Französisch, um sich zu wehren.
Später erzählen sie etwas von ihrem Tag, im Nachhinein erklärt Basil die beiden für offiziell verrückt, das Verständnis, warum man 90 km um einen Berg herumfahren sollte, nur um ihn anzusehen, fehlt. Am Ende ist das Ganze eine Frage der Perspektive, ich denke, die rütteligen Pfade sind sicher auch im Auto kein Spaß. Als Radreisende ist unser Blick wohl einfach anders. Während wir noch mit ihnen plaudern, kommt langsam etwas Wind auf. An unserem Tisch vor den Zelten geht es noch gut. Zurück an der Stelle, wo wir mittags unsere Sachen abgelegt haben, ist der Wind jedoch ziemlich stark und alle unsere Sachen bereits mit einer feinen Sandschicht bedeckt, unter anderem auch meine Kamera. Das Ergebnis ist ein blockiertes Objektiv. Ich habe noch eine weitere dabei, dennoch sehr ärgerlich. Zumal ich meine Analogkamera und diverse Filme dabei habe, die ich jetzt nicht mehr nutzen kann. Außerdem übersteigt eine Reparatur wohl den Wert des alten Objektivs bei Weitem. Abends kaufe ich eine Zahnbürste, mal schauen, ob ich etwas retten kann. Ich bringe meine Sachen ins Zelt, inzwischen düst ein ordentlicher Sandsturm durch unser Camp. Wir müssen die Türen mit zwei Personen öffnen und schließen, jedes Mal kommt mehr Sand in unser Zelt. Nach dem Duschen bin ich direkt wieder sandig, und in unserem Zelt ist es so warm, dass der Schweiß nur so läuft. Alle ächzen, nur unser Host hat wie immer Spaß. Immerhin flacht der Wind ab, und wir können das Zelt wieder verlassen. Die Wolken sind weggeblasen und haben den Weg freigemacht für den besten Sternenhimmel, den ich je gesehen habe. Je länger man nach oben schaut, desto mehr Sterne tauchen auf.

Am Morgen klingelt nach einer unruhigen Nacht unser Wecker um Viertel nach fünf. Ich fühle mich, als hätte ich im Sand geschlafen. Unser Host steht von seinem Bett draußen vor den Zelten auf, es gibt Frühstück. Um halb 7 sitzen wir auf den Rädern, im Schein der Dynamo Lampen machen wir uns auf den Weg zurück zur Piste. Vor uns liegen 60 km bis zur nächsten Stadt, der ersten seit drei Tagen. Die ersten 20 Kilometer verfliegen auf der Piste aus gepressten Sand, danach sollte es interessanter werden. Der glatte Untergrund wurde immer steiniger, und kurz darauf fuhren wir statt über 20 km/h nur noch 8. So sollte es die nächsten 40 km bleiben. Bei noch erträglichen Temperaturen fahren wir über Trails, die mir bei einer normalen Radtour ein breites Lächeln ins Gesicht gezaubert hätten. Mit Gepäck und der Aussicht auf die aufkommende Hitze kann ich es aber nur bedingt genießen. Wir überqueren immer wieder kleine trockene Flussbetten, die losen Steine haben, teilweise Fußballgröße. Unsere Räder müssen einiges einstecken, ich kann mir nicht vorstellen, wie Leute hier mit Trekkingrädern durchfahren wollen. Die Sonne wird immer stärker, und meine Wasservorräte schwinden rapide. Ähnlich dürftig sieht meine Snacksituation aus. Zu Hause berechne ich für meine Trainingseinheiten die benötigten Kohlenhydrate und wiege alles passend ab, hier gibt es jede Stunde ein matschiges Snickers oder was auch immer ich sonst so in meinen Taschen finden kann. Ein Porridgebar von zu Hause bringt mich etwas weiter, auch er ist durch die Sahara Sonne fast flüssig. Ich hätte nicht gedacht, dass das überhaupt möglich ist. Viele Pausen machen wir nicht, am Ende des Tages haben wir auf die 4,5 h Fahrzeit knapp 35 Minuten. Trotzdem muss ich zwischendurch kurze Stopps einlegen, ich bin doch schon wieder ziemlich nah an meinen Limits, ein sehr charakterbildender Urlaub.
Irgendwann erreichen wir die Straße, es ist ein befreiendes Gefühl. Ich habe inzwischen vergessen, wie mein Freilauf klingt, jeder Meter musste gekurbelt werden. Wir kommen an einem Café vorbei, viele Locals sitzen darin, ein sehr gutes Zeichen. Vorher fahren wir aber noch zu einem Laden, innerhalb von fünf Minuten vernichte ich ein Magnum, einen Liter Wasser und eine Dose Cola. Danach habe ich Bauchschmerzen, aber immerhin keinen Durst mehr. Das Mittagessen ist richtig gut, ich habe ein riesen Omelett, dazu gibt es salzige Pommes, beim Blick auf die Salzränder auf meinem Oberteil wird klar, ich wollte wahrscheinlich noch fünf Portionen Pommes essen. Dafür ist aber keine Zeit, zu sehr freue ich mich auf den Pool im Hotel.

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