​​​​​​​Meine Nacht als unruhig zu bezeichnen wäre eine glatte Untertreibung. Drei Mal musste ich mich komplett anziehen und den langen Weg draußen durch die Kälte zur Toilette (natürlich gebaut aus einem alten Container) auf mich nehmen. Das Ergebnis sehr unangenehm, ich glaube das letzte, sehr wild gemischte Abendessen im Gasthaus in Sarytasch hat mir gar nicht gut bekommen. Etwas lädiert stehe ich also auf. Am Abend hat die Besitzerin noch gesagt, sie kann uns Frühstück aus unseren Lebensmitteln machen, die wir noch übrig haben und nicht über die chinesische Grenze nehmen dürfen. Ich habe noch genug Haferflocken, auch wenn diese nicht verboten sind, bin ich froh über jedes Gramm, dass ich von meinem Rad los werden kann.
Wir stehen um halb 7 auf, da die Grenze um 8 Uhr öffnet und wir so viel Zeit wie möglich haben wollen, im Falle dass etwas schief geht. Außerdem machen die Chinesen eine große Mittagspause von 11 bis 14 Uhr. Bis dahin wollen wir in China sein. Die Dame ist nirgends zu sehen, also mache ich das Porridge auf dem Gasherd einfach selber. Dafür kann ich auch meinen Topf benutzen. Nach Betrachtung der hygienischen Zustände in der Küche und den Vorkommnisse der Nacht und des Morgens ist mir das nur Recht. Nach dem wirklich kleinen Abendessen am Vortag ist es gut, etwas Vernünftiges im Magen zu haben. Gestärkt machen wir uns auf den Weg Richtung Grenze.
Auf der kirgisischen Seite läuft alles reibungslos und wie bei einer normalen Grenze. Vor der offiziellen Kontrolle gibt es draußen einen Check der Reisepässe. Während wir dort stehen fährt ein LKW auf einen anderen auf. Den Fahrer interessiert es nicht, er schaut nur lachend zu einem anderen benachbarten LKW hinüber, der probiert den Schaden zu beurteilen. Aussteigen tut keiner. Im offiziellen Gebäude werden die Pässe einmal durchgeblättert, auch hier ist meine Schutzhülle um den Pass ein sehr störendes Hindernis und ich muss sie entfernen bevor es den Stempel gibt. Nach dem Ausgang aus der Stempelhalle gibt es noch einen duty free Shop. Sehr viel Alkohol, ein interessantes Angebot an einer Grenze, die eigentlich nur von LKW Fahrern benutzt wird. Der Weg zur chinesischen Grenze ist länger als gedacht und die Straße ebenso schlecht. Wir fahren aber direkt neben einer Baustelle entlang, plötzlich erstreckt sich über uns eine große neu gebaute Brücke. Die Chinesen sind also auch hier am arbeiten. 
Im ersten Tor, dass wir in Richtung China passieren sitzt ein schlafender Beamter. Wir wissen nicht so wirklich wo wir hin müssen, da alle LKW Fahrer aber einfach vorbei fahren, machen wir es ihnen gleich. Trotzdem sind wir etwas verwirrt und beunruhigt, nicht dass wir einen wichtigen Schritt verpasst haben und jetzt Probleme bekommen. Wir kommen an eine Art Zollkontrolle für die LKWs, ein Polizist winkt uns heran und fragt nach unseren Pässen. Danach setzt er uns in einen Containerraum (immerhin ist dieser warm). Während wir dort sitzen, machen wir uns Sorgen, dass der schlafende Beamte doch die Station für die offizielle Immigration war. Ich habe nicht auf die Uhr gesehen, es kommt uns aber lange vor. Irgendwann kommt ein anderer Polizist und sagt uns per Google Übersetzer, dass wir weiter fahren sollen. Die Nachricht ist wie eine klassische Google Übersetzer Nachricht immer aussieht und wir verstehen erst nicht, was von uns gefordert wird. Als klar ist, dass wir nicht mit dem Polizei Van fahren sollen, sondern mit unseren Rädern, sind wir aber beruhigt. Es geht ein weiteres Stück, bis zum richtigen Einwanderungscheckpoint.
Dort angekommen, sollen wir unsere Räder mit hinein nehmen, geben unsere Pässe ab und werden wieder in einen Raum gesetzt. Immerhin herscht nun ein regeres Treiben. Immer wieder kommen LKW Fahrer dazu und werden abgefertigt. Irgendwann werden wir herausgerufen und sollen eine Karte mit persönlichen Informationen ausfüllen. Hauptsächlich Namen, Passnummer, Visa-Nummer und den Ländern in denen wir vorher waren. Das Feld für die vorherigen Länder ist zu klein für meine Auflistung. Das ganze ist aber etwas seltsam, all diese Informationen müssen eigentlich ziemlich sicher bereits in den Systemen hinterlegt sein. Parallel dazu bekommen wir Fragen gestellt: kennt ihr jemanden in China, was arbeitet ihr, wo wollt ihr hin, was ist der Grund für den Besuch und so weiter. Höflich beantworten wir alles, dann kommen wir zurück in die Wartehalle. Dort hängt noch ein Schild von vor Corona Zeiten, im englischen Text sind nicht nur Fehler, sondern auch die seltsame Erklärung, dass man für das Stück Straße das jetzt kommt einen Bus/Taxi nehmen soll, da sie sehr kurvig ist und auf und ab geht. Aus aktuellen Erfahrungsberichten, wissen wir aber, dass man neuerdings dieses Stück selber fahren kann ohne über 50€ für den Transport auszugeben. Diesmal geht es etwas schneller, wir dürfen weiter, jetzt kommt der Teil vor dem ich am meisten Respekt hatte, die Gepäckkontrolle. In der Vergangenheit wurden dabei eine Menge Dinge konfisziert: Messer, Feuerzeuge, GPS Geräte und mehr. Ich möchte weder mein Messer, gekauft auf einer Radtour nach Paris und vorallem nicht den Spot Tracker ein Geschenk von Laura und ziemlich praktisches Gerät abgeben müssen. Die Kontrolle ist aber nur sehr oberflächlich und gehetzt, anscheinend ist bald Pause. Ich räume meine Snacktaschen aus und danach meine Lenkertasche. Zum Vorschein kommen eine Vielzahl an Schokoriegeln und leeren Plastiktüten (kann man nie genug von haben). Das größte Interesse bekommen meine Salz und Pfefferdosen. Ab einem gewissen Punkt wollten die Beamten nur noch schauen was noch in der Tasche drin ist, ohne das wir weiter auspacken müssen. Mein Messer war gut von anderen Dingen begraben, ich zeige die Tasche und es wird abgesegnet. Mein Tracker ist ganz tief in der Rahmentasche, aber die wenigen Taschen davor scheinen gereicht zu haben. Wir werden weiter zum letzten Passcheck geschickt. Eine Computerstimme weist mich auf Deutsch an, meine Fingerabdrücke zu hinterlegen, ein Foto wird auch noch gemacht. Eigentlich sollte alles von der Visa Bewerbung noch hinterlegt sein, aber doppelt hält wohl besser. Danach gibt es den Stempel und wir sind frei.
Neben den Grenzgebäude gibt es eine Reihe von kleinen Geschäften. Im ersten tausche ich meine kirgisischen Som in Yuan. Die Auswahl des Minimarkets ist faszinierend. Am meisten freue ich mich aber über den Geruch von Gewürzen der in der Kuft liegt. Ein direkter Unterschied zu allen Ländern Zentralasiens davor. Wäre mein Magen nicht so anschlagen, würde ich eine Menge Geld für Geschmacks Experimente ausgeben. Im nächsten gibt es sowohl Essen als auch SIM-Karten. Für etwas über 6€ kaufe ich 80 Gigabyte, danach geht das Experimentieren mit meinen verschiedenen VPNs los. Am Ende funktioniert das kostenlose Back-up, aber nicht das VPN für das ich Geld bezahlt hatte. Nebenbei essen wir einen Teller Nudeln, dass wir beide kein Fleisch wollten, kam trotz diverser Versuche nicht an. Aber die Nudeln schmecken gut und es gibt Brot um meinen Magen weiter zu beruhigen. Wir sitzen noch länger dort und trinken Tee, dann geht es weiter.
Das Bergpanorama der letzten Tage bleibt bestehen, nur fahren wir jetzt wie in den besten Tagen in Tadjikistan direkt hindurch. Einziger Unterschied, die perfekt asphaltierte Straße und frisch lackierten Leitplanken. Der Eindruck der anderen Welt bleibt bestehen. Zwischendurch kommen wir durch kleine Städte, die aber deutlich größer sind als alles was wir in den letzten Wochen gesehen haben. Überall auf den Straßen sind außerdem Masten mit Kameras, auch etwas surreal.
Im Laufe des Tages bin ich immer genervter von James. Nachdem er an einem Anstieg fast in mich reinfährt und dann sagt: ja sorry, ich trete ganz wenig eigentlich fast gar nicht, deshalb bin ich nicht so schnell und direkt darauf folgend anfängt mir zu erklären dass ein Zweirad Geschwindigkeit braucht um gerade auszufahren während er auf einem 20 Kilo leichteren Reiserennrad sitzt, bekomme ich leichte Mordfantasien. Dass wir am Abend zelten und ich wegen meines kaputten Kochers weder warmes Abendessen noch Frühstück machen kann trägt nicht zur Besserung der Laune bei. Am Ende haben wir aber einen sehr schönen und versteckten Spot, der frische riesige Apfel schmeckt sehr gut, außerdem gibt es Bananen. Die Straße hören wir zwar noch ziemlich laut, die Wahrscheinlichkeit von der Polizei hier aufgegabelt und zum weiter fahren gezwungen zu werden, ist aber ziemlich gering. Es ist doch noch frisch, wir teilen ein Zelt. Der erste Tag in China geht versöhnlich zu Ende, ich kann es aber kaum erwarten wieder alleine unterwegs zu sein.
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