Die Nacht war nicht gut, und auch am nächsten Tag geht es mir nicht besser. Zum Frühstück gibt es eine Art Porridge mit Datteln, welches sehr gut tut. Das anschließende Brot dreht mir dann den Magen wieder um. Ich entscheide mich, mich erstmal wieder hinzulegen und weiterzuschlafen. Immerhin wird mir nicht wieder richtig übel. Die Jungs gehen zurück zu dem kleinen Laden, Basil geht es wieder deutlich besser und jetzt hat er auch Lust auf einen Kaffee. Mohammed zeigt ihnen noch etwas das Dorf. Als sie zurückkommen, ist klar, ich fahre heute nirgendwo mit dem Fahrrad hin. Wir fangen an, uns zu beratschlagen. Sie könnten hier warten, damit verlieren wir aber einen Tag, und die Etappenaufteilung wäre auch nicht so optimal. Dafür liegen die Versorgungspunkte einfach zu suboptimal. Meine Idee, einfach sie vorausfahren zu lassen und mit dem Taxi nachzukommen, scheint die beste zu sein. Bis zum nächsten Dorf sind es noch 28 km mit 800 Höhenmetern, die wir gestern eigentlich noch fahren wollten. Perfekt für einen halben Tag, inzwischen ist es bereits halb 12. Kurz darauf haben wir einen Mann aus dem Dorf organisiert, der mich morgen fahren kann. Ich lege mich wieder hin, der Rest verabschiedet sich herzlich von der netten Familie und fährt los.
Ich unterhalte mich später am Tag noch mit unserem Host Mohammed. Er hat einige interessante Ansichten. Der Regierung vertraut er nicht, er geht aber auch nicht wählen. Dafür vertraut er dem König. Der ist einfach da und hat keine Legitimierung, außer, dass er der Sohn des Königs davor ist. Vielleicht muss man Marokkaner sein, um das zu verstehen. Danach erzählt er mir viel über seine Arbeit in Dubai und wie toll es dort ist. Auch da finde ich mich nicht wieder. Aber für einen freundlichen Diskurs reicht es, auch wenn meine Redeanteile eher gering sind.
Den Abend verbringe ich noch mal mit ihm und seinem Vater. Letzterer zeigt mir seine WhatsApp Chats mit anderen Touristen, die dort vorbeigekommen sind. Außerdem ruft er alle nochmal an, keiner antwortet. Vielleicht ist 10 Uhr marokkanische Zeit einfach zu spät. Die Chats kannten wir aus den Tagen davor schon, aber ein besonderes Highlight ist für mich immer noch die Unterhaltung mit ihm und einem älteren Engländer. Beide sprechen kein Französisch, tauschen aber die wenigen Wortfetzen aus, die sie haben. Am Ende hat keiner etwas verstanden. Irgendwann ist er fertig und fängt an, Facebook Videos zu schauen und mir so halb zu zeigen. Die Lautstärke ist auf höchster Stufe, dennoch hebt er das Handy ans Ohr, um besser zu verstehen, was gesagt wird. Ich habe schon vorher nicht verstanden, worum es geht, jetzt bleibt mir nur noch das laute Arabisch aus den plärrenden Handylautsprechern. Ich bin froh, als ich mich Richtung Bett verabschieden kann.
Zurück zum heutigen Tag: Ich stehe gegen Viertel nach sieben auf. Eigentlich sollen wir um halb mit dem Autofahrer gemeinsam frühstücken, Mohammed erreicht ihn aber nicht. Meine ungute Vorahnung wird glücklicherweise nicht bestätigt, und kurz nachdem wir mit dem Frühstück fertig sind, steht der Mann hupend vor dem Haus. Ich verabschiede mich jetzt ebenfalls von der Familie und schiebe mein Rad zur Straße. Wir verzurren es auf dem Dach des äußerst klapprigen Peugeot, der wahrscheinlich älter ist als ich. Erst liegt mein Rad auf der Antriebsseite, wir drehen es lieber nochmal um, ich habe Sorge, dass meine Schaltung beschädigt werden könnte. Ein Vorkommnis später am Tag würde mir diese Sorge für den Rest der Reise nehmen. Wir fahren nach Issil, dem nächsten größeren Dorf, wo ich Jack und Basil wieder treffen würde. Kurz vorher werde ich abgesetzt. Mohammed hat Sorge, erkannt zu werden und dann den Bus nicht mehr zu schaffen, weil ihn hier so viele Leute kennen. Anscheinend wohnen hier viele Leute aus seinem Dorf. Die wohnen laut seiner Aussagen aber auch sonst überall, gefühlt gehören die gesamten Berge zu seinem Dorf und alle weiteren Häuser, die wir auch in 20 Kilometern Entfernung noch sehen, gehören auch dazu. Ich verstehe das nicht so ganz, aber es wird schon sicher stimmen. Vor Issil mache ich die Bekanntschaft eines Kindes, es wird nicht das letzte Mal sein, dass uns dieser kleine Herr beehren wird. Immerhin dauert es nicht allzu lange, bis Jack und Basil kommen. Wir rollen gemeinsam ins Dorf, zum örtlichen, kleinen Café. Inzwischen verfolgt uns schon eine kleine Gruppe Kinder und während wir auf unseren Tee und die Omeletts warten, werden es immer mehr.
 Die anfängliche Schüchternheit legt sich schnell, und jegliche Berührungsängste verfliegen. Wir sind alle froh, gerade nicht alleine zu sein. Auch die Besitzerin des Cafés bekommt den chaotischen Haufen nicht in den Griff. Selbst der Besenstiel und vereinzeltes Steinewerfen hilft nicht. Sobald sie nicht mehr zu sehen ist, werden wir wieder belagert. Was sie außer den üblichen Fragen nach Süßigkeiten und Stiften noch von uns wollen, verstehen wir nicht. An meinem Fahrrad ist immer noch die Flasche mit der ekeligen Cola, aber ich weiß, würde ich diese an die Kinder verschenken, würden alle Dämme brechen. Immerhin sorgt die Präsenz der Cola Flasche dafür, dass sie nicht bemerken, dass in den anderen Taschen viel interessantere Süßigkeiten sind. Ein Junge probiert es immer wieder, dass ich bereits mehrmals den Kopf geschüttelt habe, bringt ihn nicht von seiner Mission ab. Allerdings muss Jack einmal einschreiten und ein paar Kinder davon abhalten, seine Luftpumpe zu entwenden. Irgendwann ist es uns genug und wir wollen gehen, das geht aber nicht, die Tochter der Familie weiß nicht, was die Dinge hier kosten, auch sie ist von der gesamten Situation überfordert. Zum Glück kommt bald ein älterer Herr, er kann auch die Kaffeemaschine bedienen. Die Kinder sind inzwischen verschwunden. Heute nehmen wir sogar Bananen mit auf unsere Tour. Frisches Obst auf dem Fahrrad, ein Luxus, der mir bisher in Marokko noch nicht zuteil geworden ist. Der Start unserer Route führt uns über perfekt fahrbare Wege und wir fließen über die Hochebene, ganz entspannt und ohne den Lärm von vorher. In der Ferne können wir aber bald unseren ersten Anstieg des Tages sehen, können. Dieser sollte es in sich haben, nicht nur, was die Höhenmeter angeht. Angestrengt kurbeln wir die steile Schotterpiste hinauf, bis mir, gerade am steilsten Stück mit über 16 %, die Kette reißt. Erstmal kein Problem, ich habe ja ein Ersatzkettenschloss dabei. Wir beglückwünschen uns für den schnellen Reparatur-Boxenstopp, bis wir bemerken, dass nicht nur die Kette gelitten hat. Normalerweise sind die Schaltwerke an dünnen Metallstücken montiert, so genannten Ausfallenden, die im Notfall als Sollbruchstellen agieren sollen, um das Schaltwerk zu schützen. Mein Ausfallende ist aber besonders massiv, und das Ersatz-Ausfallende hätte ich auch zu Hause lassen können. Denn es ist immer noch perfekt in Form. Gar nicht gut sieht hingegen das Schaltwerk aus, es ist in mehrere Richtungen verbogen. Wir probieren, es provisorisch mit Basils Mini-Zange in Form zu bringen, so richtig will das aber nicht funktionieren. Zum Glück habe ich Schalthebel, die sowohl mit indexierten Gängen funktionieren, also die einzelnen Schaltschritte durch Klicken, als auch manuell in eine Position gebracht werden und danach das Schaltwerk entsprechend anpassen. Ich hätte das als Gimmick für die Singapur Reise gerne mitgenommen, Ersatzteile hätte ich so deutlich einfacher bekommen, am Ende funktioniert mit der manuellen Justage quasi jedes Schaltwerk an meinem Fahrrad. Jetzt soll es mir aber auch hier sehr helfen. Ich kann jetzt die Gänge irgendwie noch etwas hin und her würgen, um überhaupt noch zu schalten. Sauber läuft die Schaltung natürlich überhaupt nicht mehr. So kommt es kurze Zeit später dazu, dass die Kette über das größte Ritzel springt und auch zwischen Kassette und Speichen verhakt. So fest, dass wir sie mit egal wie starkem Ziehen nicht bewegt bekommen. Die einzige Lösung ist am Ende, mit dem längsten Inbus, den wir haben, und einem Stein so lange auf das verkeilte Stück zu hämmern, bis es wieder frei ist. Wir haben wieder einiges an Zeit verloren, aber die Stimmung ist immer noch gut und es werden die gleichen Witze wie die letzten vier Stunden und die letzte Woche gemacht. Ich passe noch ein paar Einstellungen an, damit so ein Vorfall nicht mehr passieren kann, das Schaltwerk ist aber ohnehin ein Totalschaden. Danach rolle ich mit meinem rasselnden und quietschenden Foltergerät weiter. Wenn mich die Hitze der Sahara nicht in den Wahnsinn getrieben hat, lange wird es hiermit nicht mehr dauern. Die Chance auf ein Ersatzteil ist auch äußerst gering, mir wird nichts anderes übrig bleiben, als bis nach Agadir mit dem rasselnden Schaltwerk zu fahren. Erstmal genieße ich aber die vor uns liegende Abfahrt. Bergab fährt sich mein Rad immer noch richtig gut, wahrscheinlich am besten von unseren drei Rädern. Ich lasse es gut laufen, und genau das soll mein erneutes Verhängnis werden. Plötzlich geht es einmal noch steiler herunter, ich hebe kurz ab und schlage danach umso fester ein. Ich muss genau einen spitzen Stein getroffen haben. Der Schlag geht direkt auf die Felge, und direkt weiß ich, dass das nicht gut gewesen sein kann. Ich fahre langsamer und höre, wie es vom Hinterrad zischen. Beim Anhalten zeigt sich, hier ist kein üblicher Schaden aufgetreten. Die Dichtflüssigkeit, die meinen Reifen auf der Felge ohne weiteren Schlauch bei Dornenstichen oder kleinen Schnitten abdichtet, läuft an einer Stelle zwischen Felge und Mantel heraus. Dabei zischt es weiter. Das übliche Aufpumpen und Schütteln des Reifens funktioniert nicht, ich muss einen Schlauch verbauen. Ohne Mantel sieht man auch gut den Schaden an der Felge. Zum einen ist diese ordentlich eingedellt, zum anderen ist die Stelle, wo die Felge beim Zusammenbiegen verbunden wird, der Felgenstoß, nicht mehr ganz zusammen. Außerdem sind einige Speichen locker. Mein Fahrrad hat an diesem einen Tag mehr Schaden genommen, als in den gesamten neun Monaten Reise davor. Ich ziehe den Schlauch ein. Vorher schöpft Basil aber noch lachend die Dichtflüssigkeit aus meinem Reifen mit seinem Esslöffel in eine kleine Flasche um. Er freut sich, seinen Hinterreifen damit vielleicht wieder richtig abdichten zu können. Trotz aller Schäden ist die Stimmung in unserer Reisegruppe immer noch sehr gut. Auch mich steckt die gute Laune an, alleine fände ich die Situation gerade wohl nicht so lustig. Dann fällt mir auf, dass ich eine meiner Flaschen verloren habe, Basil geht sie netterweise suchen und findet sie auch an der Unfallstelle wieder. Außerdem ist die Schnalle der Schlossbefestigung gebrochen. Ich behelfe mir mit einem Ersatzspanngurt.
Danach geht es wieder bergauf, und das lange. Bis zu unserem Ziel, einer Herberge in einem kleinen Dorf, wären es 82 km mit 1400 Höhenmetern gewesen, wovon jedoch die ersten 15 km flach und die letzten 25 km bergab sind. Die Anstiege sind also ziemlich dicht gesetzt und es geht quasi nur noch bergauf. Die Untergründe sind wechselhaft, nur Asphalt gibt es natürlich keinen. Je länger wir fahren, desto schlechter werden die Wege und desto geringer meine Hoffnungen, heute noch vernünftig duschen zu können. Nach drei Tagen hätte ich es wirklich nötig. Stattdessen bekomme ich: Wasserknappheit, Müdigkeit und einen Weg entlang eines ausgetrockneten Flusslaufs. Immer wieder kreuzen wir das steinige Flussbett. Inzwischen bin ich müde und traue meinen Reflexen nicht mehr. Ich steige daher oft ab und schiebe, um nicht zu stürzen. Die Routine besteht aus: durch Flussbett schieben, aufsteigen, 50-100 Meter bergauf über einen rauen, kaum fahrbaren Weg zu fahren, nur um wieder abzusteigen und ein Stück runter in den Fluss zu schieben. Die Sonne sinkt immer tiefer und ich frage mich, wie schon öfter auf dieser Reise, warum ich mir das alles antue. Nicht nur so viele heile Fahrradteile, sondern auch Nerven, wie diese eine Woche hat mich die gesamte Singapurreise oder auch anderes in meinem Leben nicht gekostet. In dem Moment hasse ich es, beim Schreiben des Blogs bin ich mir aber sicher, würde man mich in einer oder zwei Wochen nochmal fragen, würde ich es wahrscheinlich ohne zu murren direkt wieder machen. Irgendwann lassen wir endlich den blöden Fluss hinter uns. Natürlich geht es weiter bergauf, und ich habe inzwischen kein Wasser mehr. Auf trockene Kekse als Energielieferanten habe ich ebenfalls keine Lust mehr, die äußerst süßen King Cookies, unsere Wahl der letzten Tage, würde ich ohne Wasser aber eh nicht herunterbekommen. Langsam geht inzwischen die Sonne unter, und mir wird kalt. Der Blick auf den Tacho verrät 16 Grad, dass ich nach der Sahara noch solche Temperaturen in Marokko erfahren würde, überrascht mich. Bis zum Wasser ist es aber immer noch weit und ich vertröste mich weiter. Wir können einfach nicht genau sagen, wann wir an Wasser kommen, und fahren daher weiter. Etwas anderes bleibt uns ja auch nicht übrig. Einen weiteren Anstieg später sehen wir in der Ferne die ersten grünen Bäume und Büsche. Erst sind wir nicht erfolgreich, es gibt hier kein Wasser. Beim zweiten Stopp immerhin die besten Äpfel, die ich je gegessen habe. Wir rollen weiter, kurz vor dem nächsten Dorf ist eine Eco/Bio Farm. Das Beste, direkt daneben ist ein großer Wasserspender, unsere Rettung. Wir füllen alles auf, was wir haben, inzwischen ist es komplett dunkel. Während ich noch mein Wasser filter, bevor es in die Flaschen kommt (ich will mich nicht schon wieder vergiften), untersuchen die Jungs die Farm. Anscheinend gibt es hier ein Café, das zwar geschlossen ist, aber davor genug Platz für unsere Zelte bietet. Es gibt ebenfalls eine WhatsApp Nummer. Die beiden sind dagegen, dort hin zu schreiben, ich fühle mich aber besser damit, dort Bescheid zu sagen, dass wir hier campen. Falls die Besitzer:innen uns besuchen kommen würden, würde ich den Smalltalk übernehmen. Aber jetzt nochmal weg von hier, wollen wir alle auch nicht. Ich bekomme lange keine Antwort, wir kochen erstmal. Es gibt die klassische Radreise: Linsensuppe, aber sie schmeckt gar nicht schlecht. Später bekommen wir ein Willkommen per Nachricht, da sind unsere Zelte aber bereits unter dem klaren Sternenhimmel aufgebaut und wir auf dem Weg in die Schlafsäcke.
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