Man sagt: Probleme sind nur dornige Chancen. Davon habe ich direkt am Morgen einige. Um genau zu sein, vier. Drei Mal baue ich mein Hinterrad aus und wieder ein, inklusive Aufpumpen. Jedes Mal wird es danach wieder platt, und das, obwohl ich den Reifen nach Dornen abgesucht habe. Beim zweiten Mal schaut Basil auch nach. Wir sind beide sicher, dass der Reifen sicher ist. Das Rad wird installiert. Ich packe alles fertig zusammen, drehe mich um, und der Reifen ist wieder leer. Ich war gestern schon kurz vor meinem Breaking Point, das macht mich jetzt wirklich fertig. Diesmal suchen wir zu dritt den Reifen ab, auch von außen, und pulen alles, was wir sehen, heraus. Auch den Schlauch suche ich ab, dabei finde ich direkt zwei Löcher. Immerhin sollte jetzt die Luft drin bleiben. Meine Entspannung und gute Laune durch den sehr guten Schlaf in der Nacht ist inzwischen verflogen.
Es geht weiter durch das Flussbett, eigentlich fahren wir bergab, kommen aber kaum voran. Meine Gedanken drehen sich inzwischen fast nur noch darum, wie ich vom nächsten Dorf am besten nach Agadir komme. Der Spaßfaktor kommt mir gerade deutlich zu kurz. Durch die Müdigkeit bin ich dünnhäutig geworden. Mir fehlt die Fitness, um den Trip zu genießen. Gleichzeitig weiß ich, dass mir alles, was wir hier gerade machen, normalerweise immer ziemlich Spaß machen würde, keine gute Kombination. Aber erstmal habe ich keine andere Alternative, als weiter zu fahren. Seit dem letzten Dorf haben wir keinen Menschen mehr gesehen, und Verkehr kommt hier auch keiner entlang, dafür ist der Weg viel zu schlecht.
Ein Schub für die Moral ist die Asphaltstraße, die plötzlich vor uns auftaucht. Durch die technischen Probleme sind wir weit hinter unserem Zeitplan, jetzt rollt es wenigstens besser, und bis zur Stadt ist es glücklicherweise auch nicht mehr weit. Eine Cola, ein Joghurt und ein kaltes Wasser machen wieder gute Laune, die Welt sieht schon gar nicht mehr so schlimm aus. Jack und Basil beladen ihre Taschen bereits mit Chips und Keksen, ich will noch einmal meine Alternativen abklären, bevor ich weiter einkaufe. Gegen die Pakete Haferflocken, die Basil organisiert, wehre ich mich aber nicht. So gäbe es jetzt immerhin mal ein vernünftiges Frühstück. Wir suchen einen Platz fürs Mittagessen, unsere erste richtige Mahlzeit des Tages. An dem kleinen Dorfplatz wollen wir nicht bleiben, hier riecht alles etwas undefinierbar komisch. Wir denken: Urin, vielleicht ist es aber auch der Handel mit den lebenden Hühnern. Wir fahren etwas weiter zu einem Café am Straßenrand, es sieht süß aus von außen, wir setzen uns in den Schatten auf der Terrasse. Drinnen läuft auf voller Lautstärke Fußball, manche Dinge sind überall auf der Welt gleich. Der Besitzer ist verwundert über unsere Anfrage, vier Eier in den Omeletts, pro Person, aber wir sind hungrige Radfahrer. Mich stört es, dass Basil von meiner Cola mittrinken will, auch hier merke ich: Ich bin nicht ganz auf der Höhe. Meine Optionen für die Weiterfahrt sind begrenzt, wir sind so im Nirgendwo, bis zur nächsten Stadt mit Busverbindung fahre ich locker mindestens nochmal einen Tag. Inzwischen geht es mir auch wieder besser, warum also nicht weiter fahren. Theoretisch kommt in drei Tagen eine Stadt, in der ich immer noch die Reißleine ziehen kann. Ich erzähle den Jungs von meinem Plan, sie sagen, ich soll nicht aufhören, können es aber auch absolut verstehen, wenn der Leidfaktor aktuell zu hoch ist. Mit der Situation bin ich erstmal zufrieden, es gibt einen Plan und eine Alternative, und überhaupt sind es ja auch nur noch fünf Tage auf dem Fahrrad. Basil sagt, es scheint ein Muster bei mir zu sein, damit sollte ich doch umgehen können, vor allem, weil ich weiß, dass die schlechte Laune immer wieder kommt.
Wir verlassen das Dorf, vorher organisieren wir noch Obst vom Besitzer des Cafés und haltbare Milch für das kommende Frühstück. Jetzt kommt ein weiteres Highlight der Route, die alte „Colonial Road“, eine Straße, oder eher grober Schotterweg, durch das Gebirge, gebaut zur Zeiten der französischen Kolonialzeit. Der Untergrund ist leicht besser als auf unseren bisherigen Wegen, besonders angenehm ist aber die bisher eher gleichmäßige, nicht zu extreme Steigung, eine deutliche Verbesserung zu bisher. Aber auch hier sollten sich Herausforderungen auftun. Teile des Weges wurden einfach weggeschwemmt, umständlich müssen wir unsere Räder durch das entstandene Flussbett schieben und tragen. Dabei sind die kleinen Trampelpfade, die andere Radfahrer planiert haben, keineswegs einfach zu gehen, besonders nicht mit meinen steifen und rutschigen Carbon Radschuhen. Die zweite Umgehung ist zusätzlich so steil, dass wir die Räder mit zwei Personen schieben müssen. Außer Jack, dessen Rad so leicht ist, dass er bereits oben ist, bevor wir ihm helfen können. Inzwischen ist es spät, eigentlich würden wir gerne noch weiter den Anstieg hoch. Alles, was wir jetzt machen, haben wir morgen weg. Gegen halb acht geht aber die Sonne unter, und wir haben schon Viertel nach sieben. An einer passenden Stelle lassen wir es gut sein, für heute. Der Platz ist absolut genial, die Aussicht schwer in Worte zu fassen. Wie auch gestern Abend bin ich heute sehr froh, nicht aufgegeben zu haben. Irgendwie weiß ich, das wird jetzt noch fünf weitere Tage so gehen. Wir kochen unser Abendessen, heute ist es ganz fein. Als Vorspeise kochen Basil und ich uns zwei Pakete Instant-Nudelsuppe, und während wir diese essen, direkt weiter auf dem noch heißen Kocher, die üblichen Linsen. Ich hätte gerne, meinem Magen zuliebe, nochmal auf Linsen verzichtet, wir haben aber nichts anderes mehr bekommen. Die Nudelsuppe ist angenehm scharf, die warme, salzige Brühe füllt die Elektrolytspeicher nach einem schweißtreibenden Tag wieder auf. Als Nachtisch gibt es noch ein Stück Kuchen von einem Bäcker am Marktplatz. Zufrieden geht es ins Bett, das Radreise Leben kann doch so einfach und schön sein.
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