Die Nacht im Zelt war wärmer als erwartet. Ich habe wirklich gut geschlafen, was nach der sehr unruhigen Nacht davor aber auch nicht verwunderlich ist. Keine Unterbrechungen, weder durch meinen Magen, noch werden wir von der Polizei gefunden und zum weiterfahren gezwungen. Am Morgen gibt es ein fragwürdiges Frühstück aus zwei Bananen, einem Apfel, einem Müsliriegel und einem kleinen Schokoriegel. Ich habe schon wieder Hunger nachdem ich mit dem Zähneputzen fertig bin. Obwohl wir in meinem Zelt geschlafen haben und ich es alleine weggepackt habe, warte ich mit meinem fertig gepackten Rad darauf, dass James endlich fertig wird. Das Ganze, obwohl er deutlich weniger Gepäck hat. Dafür habe ich in der Zeit über sein Sitzöl, welches viel besser als Sitzcreme ist und seine lange Unterhose, welche er in Osh gekauft und mir auf unangenehme Weise präsentiert hat, gelernt. Wir probieren einen anderen Weg aus unserem Versteck heraus, um weiter in Fahrtrichtung auf die Straße zu kommen. Die Büsche haben etwas dagegen, aber wir kommen irgendwann doch auf die Straße. Heute funktioniert das Heben über die Leitplanke auch besser.
Wir wissen nicht so ganz wie weit wir heute fahren wollen oder können. Als erstes steht aber ein Pass auf fast 3000 Meter an. Die ersten 15 Kilometer geht es also durchgängig bergauf. Das ganze jedoch auf den perfekten chinesischen Straßen. Der Asphalt ist in bestem Zustand, ohne ein einziges Schlagloch und auch die Steigung ist fast durchgängig bei angenehmen 3%. Neben Kamelen sehen wir neben der Straße auch einzelne Siedlungen. Das Bild das sich dort ergibt ist etwas seltsam. Wir fahren schnell am Maschendrahtzaun vorbei und machen weder Fotos noch ein großes Aufsehen um das was wir gerade gesehen haben.
Am Anfang ist es noch kühl und obwohl es bergauf geht, wird mir nicht warm. Erst nach dem Verzehr fast meiner gesamten Keks Vorräte und einem in der Jackentaschen tief unter all meinen Bekleidungsschichten aufgewärmten Snickers wird es besser. James erzählt mir in seiner reizenden Art, dass er nach gestern Knie-Schmerzen hat, weil er zu langsam bei niedriger Trittfrequenz gefahren ist. Er wäre gerne sozialer heute, aber er muss etwas schneller fahren. Ich fahre extra etwas langsamer, dann fährt er voraus. Ich packe mir meine Kopfhörer in die Ohren und höre weiter meine die drei ??? Hörspiele. James stoppt und fährt immer wieder los. Ich habe die Kopfhörer unter der Mütze, es fällt gar nicht auf, dass ich nicht richtig zu höre. Die endlosen Monologe laufen trotzdem wie immer ab.
Während wir fahren kommt die Sonne immer weiter raus. Die von James oft erwähnte Wettervorhersage ist wieder nicht eingetreten. Es ist fast, als wäre sie in so einem abgelegenen Teil der Welt in den Bergen nicht verlässlich. Für die Abfahrt ziehen wir uns trotzdem dick an, es geht ziemlich lange bergab. Ich hatte mich auf ein einfaches Fahren nach dem Pass eingestellt, zum Teil passt es auch, aber Immer wieder fahren wir in Gegenanstiege, die gerade so lang sind, dass ich wieder diverse Schichten ausziehen muss. Trotzdem kommen wir gut voran, auch wenn der Pass Zeit gefressen hat. Das gute Wetter macht gute Laune. Mit Vorfreude schaue ich auf den Kilometerzähler, sehne den Nudeln in der ersten Stadt des Tages, welche wir nach 66 Kilometern erreichen, entgegen. Unterwegs kommen wir durch eine Polizei Kontrolle, nichts besonderes passiert, dafür ist die Stadt ein Reinfall. Es gibt nämlich keine Stadt, nur eine Straße mit Zäunen und daneben etwas Siedlung. Keine Chance sie zu erreichen. Also müssen wir bis zu unserem Ziel des Tages weiter fahren. Inzwischen habe ich echt Hunger, wirklich viel hatte ich nicht gegessen. Trotzdem mache ich mir die leichte Hoffnung, dass wir die 90 Kilometer bergab bis nach Kashgar noch direkt anhängen können, auch wenn wir erst im Dunkeln ankommen würden.
Angekommen in Ulugqat, will ich erstmal etwas vernünftiges essen. Nach einem etwas komplizierten Bestellvorgang warten wir auf zwei Teller mit Nudeln. Vom Restaurant nebenan, kaufe ich noch frisches Brot in Bagelform. Hungrig mache ich mich daran zu schaffen und warte nervös auf die Nudeln. Beim letzten Restaurant nach der Grenze, hatten wir quasi direkt nach der Bestellung die Nudeln auf dem Tisch stehen. Stattdessen schaue ich mir nochmal die Route an. Auf den 90 Kilometern soll es nur bergab gehen, aber jedoch nicht mehr auf der perfekt asphaltierten Straße vom Rest des Tages, sondern auf einer Schotterstraße. Grundsätzlich für mein Rad und mich kein Problem, aber zum einen habe ich James dabei und zum anderen wäre es nicht so schnell wie auf Asphalt. Langsam setzt die Erkenntnis ein, dass Kashgar doch kein realistisches Ziel für heute ist. Außerdem wird es frischer, wirklich motiviert zu zelten, wenn ich nichts warmes kochen kann bin ich auch nicht. Wir machen uns also auf die Suche nach einer Unterkunft in der Stadt. Ein Hindernis ist dabei die Registrierungspflicht für Ausländer, denke ich jedenfalls. James hat ein paar Hostel gefunden, die jedoch nichts mit den üblichen Hostels die ich sonst besuche gemeinsam haben. Ich habe über eine chinesische Hotelapp mehrere Unterkünfte gefunden, die einzige die Ausländer aufnimmt kostet 32€. Ein Preis den ich inzwischen bereit bin zu zahlen, ich will einfach ankommen. Andererseits haben wir von anderen Radfahrern gehört, dass der Registrierungsprozess nicht mehr so strikt ist wie vor Corona. Nach einer kleinen Tour durch die Stadt, die vorallem durch ein immenses Polizei Aufgebot auffällt, stehen wir vor einem Hotel. Sie nehmen uns auf, der Preis ist auch in Ordnung. Die Räder können wir draußen unter den Video Kameras abstellen. Das wollen wir beide nicht, wir fragen ob wir sie in das Zimmer nehmen können. Sie sagen ja aber es ist im dritten Stock und scheinen nicht so überzeugt. Über Google Übersetzer sage ich der Besitzerin, dass das Rad mein Zuhause ist und ich es auch in den fünften Stock tragen würde. Alle lachen, die Sache ist beschlossen. Der Besitzer findet es gar nicht gut, wird von ihr aber in seine Grenzen gewiesen. Vorsichtig tragen wir die Räder hoch, wir sollen die Wände nicht berühren, was in den breiten Gängen aber kein Problem ist. Das Zimmer reicht nach Rauch, aber das Bett ist genial. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte mal in so einem bequemen Bett gelegen habe. Die Dusche ist warm und angenehm. Ich esse mein zweites Brot, noch einmal raus aus dem Bett will ich nicht.
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