In Leshan nehmen wir uns einen Tag frei, um die Stadt zu erkunden. Hier befindet sich ein weiteres Highlight der Sichuan Provinz, der „Giant Buddha“. In eine Felswand direkt am Fluss ist vor über 1200 Jahren ein 71 Meter hoher Buddha in den Fels geschlagen worden. Dabei wurde er sitzend dargestellt. Würde er aufstehen, wäre er in etwa so groß wie die Freiheitsstatue. Lediglich in Thailand gibt es einen größeren Buddha, dieser ist jedoch deutlich neuer. Es gibt verschiedene Wege, sich den Buddha anzusehen. Als Allererstes gehen wir aber frühstücken. Schon länger wollte ich eine spezielle Art des chinesischen Frühstücks ausprobieren. Eine Art Teigstange wird frittiert. Dazu gibt es Soja-Milch, in welche die Stange getunkt wird. Es schmeckt gut, mein Favorit, die gefüllten Hefeteig-Bällchen, löst es aber nicht ab.
Danach machen wir uns auf den Weg. Zuerst probieren wir uns den Buddha von der anderen Flussseite, auf welcher auch der Kern der Stadt und unser Hostel ist, anzusehen. Heute ist es aber sehr nebelig und der Winkel ist nicht optimal, so dass wir lediglich ein Knie und den Umriss des Kopfes sehen können. Angeblich gibt es eine Fähre, die zu einer Aussichtsplattform fährt. Am Anleger angekommen, realisieren wir aber, dass hier schon lange keine Fähre mehr gefahren ist und auch wohl nie wieder wird. Der Rest will erst mit dem Fahrrad zu dem Aussichtspunkt fahren, so gerne ich Fahrrad fahre, an Ruhetagen bin ich aber eigentlich immer sehr froh, nicht aufs Rad zu steigen. Am Ende entscheiden wir uns aufgrund des Preises gegen eine Bootstour und nehmen stattdessen einen Bus zu dem Park um den Buddha herum, in dem außerdem noch eine Vielzahl an Tempeln sind. Busse in China haben ein interessantes System. Unabhängig von der Distanz kostet die Fahrt immer einen Yuan, umgerechnet 13 Cent, sehr angenehm. Bezahlt wird entweder per QR-Code, oder indem man den einzelnen Geldschein in eine Box wirft.
Der Kassenbereich des Parks ist erstaunlich leer, als wir aber den Park betreten, scheint auch eine Bustour angekommen zu sein. Trotzdem war es, wie wir später bemerken würden, sehr leer. Über ein paar Treppen in der Klippe kommen wir zum Kopf des Buddhas. Eine imposante Erscheinung. Der Kopf ist schon aus der Ferne riesig und auch von nahem bin ich vielleicht so groß wie die Nase. Ähnlich zur Terakotta-Armee wird um jedes Bild gekämpft. Hinter dem Kopf gibt es einen weiteren Weg auf die andere Seite. Auf Grund der sehr beliebten Angewohnheit der Chinesen, in Museen alles anzufassen, ist der Zaun zusätzlich mit hohen Glasscheiben ausgestattet. Die Chance auf ein gutes Foto mit dem Ausblick des Buddha ist so nicht möglich. Außerdem ist es uns nicht möglich, den Panoramaweg zu den Füßen des Buddha zu begehen. Normalerweise ein fester Bestandteil des Parkbesuchs, ist er momentan auf Grund von Sicherheitsmaßnahmen geschlossen. Bei unserer Erkundung sehen wir das Wartegatter. In normalen Zeiten steht man hier teilweise über zwei Stunden an. Danach kann man den Buddha aus nächster Nähe sehen und wohl auch die Füße berühren, was Glück bringen soll. Es ist etwas schade, dass wir diese Möglichkeit nicht haben. Die Perspektive wäre wirklich interessant, um die immense Größe des Buddha noch besser zu erfassen. Wir laufen trotzdem noch weiter durch den Park, es gibt einiges zu sehen. Immerwieder blitzen neue versteckte Tempel durch das dichte Grün des Waldes. Irgendwann sind wir aber trotzdem müde. Ich muss auch für morgen noch etwas planen und mir überlegen, ob ich mit den anderen zusammen weiterfahren möchte oder lieber mein eigenes Ding mache.
Auf dem Weg zurück entscheide ich mich, doch noch die Bootstour zu machen. Der Nebel und der geschlossene Panoramaweg haben etwas verhindert, den Buddha so zu erleben, dass er sein volles Potential zeigt. Der Ticketverkauf ist etwas verwirrend. Ich laufe durch den Priority-Check und werde so bis zum Boot durchwunken, obwohl ich noch gar kein Ticket habe. Es fällt dann aber doch noch auf, schade. Ein Angestellter will mich erst durchwinken, das Boot fährt in 5 Minuten ab. Am Ende bezahle ich aber auf einem QR Code eines Anderen den Eintritt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dieses Geld in seine eigene Tasche fließt.
Auf dem Boot ist ein britisch-polnisches Paar mit ihrer Tochter. Erst unterhalten wir uns ganz freundlich, sie sind neugierig, was ich hier mache. Später holen sie mehrere Blätter Papier heraus und filmen sie dabei, wie sie einen Text aufsagt und den Buddha beschreibt. Es wirkt sehr gezwungen und als würden sie probieren, aus der Tochter eine Reiseinfluencerin zu machen. Man merkt ihr an, wie unwillig sie ist. Ich bin weder Pädagoge noch Vater, aber für mich sieht das nach einem sehr sicheren Weg aus, das Kind abzustumpfen für die Schönheit der Welt und die besonderen Momente, die es gerade erleben kann. Ein besonderer Moment ist die Bootsfahrt nämlich definitiv. Erst hier wird die wahre Größe der Statue deutlich. Die Arbeiter an den Füßen sehen aus wie Ameisen, einfach gigantisch. Ich bin froh, die Gelegenheit doch noch genutzt zu haben.
Später treffe ich mich wieder mit dem Rest und wir gehen gemeinsam Abendessen. Ich habe mich entschieden, alleine weiter zu fahren. Sie wollen einen deutlich längeren Weg fahren und noch ein paar weitere Städte ansehen. Dieser Plan passt aber nicht zu meinem Zeitbudget, so würde es mit Singapur nicht mehr funktionieren. Außerdem sind sie langsamer als ich unterwegs. Sie sagen, 100 Kilometer sind bei ihnen seltene Ausnahmen, bei mir war es, wenn nicht zu viele Höhenmeter dabei waren, fast Standard. Es ist schade, die Truppe war sehr lustig, aber nicht zu ändern.
Diese Nacht schlafe ich etwas schlechter als davor und würde gerne noch länger im Bett bleiben. Der Rest wollte erst gegen acht Uhr aufstehen, wegen mir treffen wir uns schon um halb 8 in der Lobby. Es fühlt sich lustig an, nicht wie sonst die Partei zu sein, die für ein späteres Aufstehen argumentiert. Im selben Restaurant wie am Abend davor gibt es Frühstück. Das Essen heißt „Tofu Brain“ und würde, jedenfalls vom Namen her, sehr gut zum vergangenen Halloween passen. In Wirklichkeit gibt es aber kein Gehirn (zum Glück). Stattdessen weiche Tofustücke in einer gelatineartigen schleimigen Flüssigkeit (es klingt viel schlimmer als es ist). Das Ganze kommt mit Nüssen, Frühlingszwiebeln und anderen (für mich) unbekannten Garnierungen. Mehrmals sagen sie uns, dass wir es umrühren sollen, separat die Sachen zu probieren, unerwünscht. Das Ergebnis ist ein sehr gutes Frühstück, herzhaft mit einer leckeren Konsistenz aus flüssig, weich und knusprig. Ein guter Start in den Tag. 
Danach werden die Räder beladen und es geht los. Wir fahren 100 Meter zusammen, danach biegen wir in unterschiedliche Richtungen ab. Mein Plan für heute sind um die 80 Kilometer und 700 Höhenmeter. Bis Kunming sind es etwas über 700 Kilometer mit einer Menge Bergen dazwischen. Dementsprechend will ich es langsam angehen lassen. So langsam ist der Start des Tages aber gar nicht. Es geht fast permanent bergab und die angekündigten Höhenmeter sind nicht vorhanden. So komme ich sehr gut voran. Außerdem wird die Straße immer ruhiger und auch das Hupen lässt nach. Ich komme raus aus der immensen Ballungszone Chengdu. Bald bin ich weit vor meinem Zeitplan, entspannt esse ich zum Mittag und schmiede schon Pläne, wie es weitergehen soll. Erstmal fahre ich aber zu meinem Etappenziel für heute, einer Stadt, in der es auch günstige Hotels geben soll. Ich wollte mir die Option offen halten, falls Zelten nicht möglich wäre. Dadurch, dass ich so früh dort bin, wäre es aber eine Verschwendung, schon anzuhalten. Also kaufe ich nur ein paar Dinge ein, unter anderem ein Abendessen und fahre weiter. Auf den nächsten 20 Kilometern kommt ein erster Anstieg und damit eine Einführung in das, was mich die nächste Zeit erwartet. Am Ende ist es aber gar nicht so schlimm und auch jetzt komme ich gut durch. Schon beim Losfahren bemerke ich, dass es heute noch nebeliger ist als gestern. Das ändert sich auch den gesamten Tag nicht. Die bergige Umgebung, voll mit grüner Vegetation aus verschiedensten Bäumen, Büschen und hohen Bambusstangen, liegt bedeckt unter einer weißen Schicht. Es sieht sehr atmosphärisch aus und trotz 25 Grad ist mir nicht übermäßig warm.
Allerdings muss ich mich erst wieder an das Alleinesein gewöhnen. Auch wenn ich die zwei Tage davor, alleine gefahren bin, war es klar, dass ich bald wieder in Gesellschaft bin. Außerdem bedeutet das Schlafen in Hotels keinen Stress. Das ist jetzt anders. Mich beschäftigen das Ende des Tages und auch generelle Fragen zum weiteren Verlauf der Reise. Es ist gut, den Kopf mit einem Podcast zu beschäftigen. Bisher haben wir fast alle unsere Plätze für das Zelt über iOverlander gefunden. In der App können andere Nutzer ihre Wildcamping-Plätze eintragen und mit Beschreibungen versehen. China ist deutlich weniger bereist, und so gibt es hier keine Daten, während in Tadjikistan fast alle fünf Kilometer ein Pin war. Es muss also selber nach einem Platz gesucht werden. Es fehlt mir, die Möglichkeit zu haben, mit einer anderen Person über die gewählte Stelle zu diskutieren. Als eine Frau mit einem Korb voller Bambusstangen auf dem Rücken an mir vorbeikommt, bin ich erneut stark am Überlegen, ob dieser Platz das Richtige für mich ist. Ansich ist er perfekt, halbwegs flach und nach oben hin offen mit ein wenig Wind. Dadurch sollte nicht ganz so viel Kondensation am Zelt sein. Der einzige Nachteil ist ein kleiner Teich direkt neben mir, welcher für eine Menge Mücken sorgen wird, und dass hier grundsätzlich der Boden und alles einfach feucht sind. Von den Vorteilen des immer trockenen Zentralasiens muss ich mich verabschieden. Immerhin friere ich nicht. Am Ende bleibe ich hier und sehe auch den ganzen restlichen Abend außer diversen Insekten nichts mehr. Ich nehme meinen Kocher mit Benzin in Betrieb. Zu der Gasdüsenproblematik ließ sich immer noch eine keine Lösung finden. Immerhin verscheuchen der ganze Rauch und die anfänglichen Riesenflammen die ganzen Mücken.
Im Zelt muss ich erkennen, dass der Boden doch extrem uneben ist. Immerhin fällt er zu keiner Seite hin ab, was in einem Tal umgeben von Berghängen sehr selten ist. Ich probiere das Zelt etwas abzukühlen, es ist fast schon zu warm. Zu gelegentlichen Hupen, widerhallend von den Bergwänden, schlafe ich ein.

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