Mein Morgen verläuft wie immer, ich telefoniere noch ein bisschen mit Laura. Die Zeitverschiebung von 7 Stunden macht den Kontakt nach Hause nicht so einfach. Danach geht es aufs Rad. Die Distanz von nur 60 Kilometern verspricht eigentlich einen eher entspannten Tag. Durch den längeren Morgen bin ich dann aber doch erst spät unterwegs und zusätzlich warten wieder eine Menge Höhenmeter auf mich. Ich kaufe noch eine Vielzahl verschiedener Kleinigkeiten zum Essen ein, dann geht es los.
Direkt fahre ich in einen 22 Kilometer langen Anstieg. Heute merke ich die Strapazen des vorherigen Tages doch ziemlich in meinen Beinen. Nur langsam komme ich voran, zum Glück ist es nicht so weit. Dafür habe ich Glück und das erste Mal seit wirklich langem klart der Himmel auf. Der Nebel, der vorher alles verdeckt und eingehüllt hat, ist plötzlich weg und gibt den Blick auf die Sonne und die Berge um mich herum frei. Nach all den Tagen wieder etwas Sonne im Gesicht zu spüren, ist ein tolles Gefühl. Ich suche meine Sonnencreme heraus. Benötigt habe ich sie seit Ewigkeiten nicht mehr.
Heute steht der Wind, der gestern noch schön von hinten kam, anders und macht den Anstieg zusätzlich schwierig. Trotzdem komme ich irgendwann am Ende des ersten Passes an. Standesgemäß für China führt die Straße nicht komplett über den Berg, sondern durch einen Tunnel. Die Abfahrt ist durch den Wind nicht ganz so schnell, aber immerhin geht es bergab. Ich komme noch durch eine kleine Stadt. Für eine längere Pause ist keine Zeit, ich trinke nur schnell eine Sprite und probiere weitere frittierte Dinge aus. Danach quäle ich mich den nächsten Anstieg hoch. Der Süden Chinas ist einfach brutal. Täglich fahre ich mehr Höhenmeter als im Pamirgebirge, aber die Straßen hier sind alle im besten Zustand und es ist nicht so hoch, dass Sauerstoff ein Problem darstellt.
In Zhaotong angekommen, kaufe ich an einem Stand an der Straße eine gegrillte Kartoffel. Es ist spannend, wie divers auch das Essen an der Straße ist, selbst wenn man nur eine Tagestour weiter ist. Am Hotel angekommen, folgt die erste Ernüchterung. Im Vorfeld hatte ich extra länger gesucht und probiert, mich zu vergewissern, dass ich an kein Sexhotel gelange. Eine Vielzahl der Hotels in der Stadt schien nur diesen Zweck zu haben. Ich habe probiert, jegliche Zimmer mit runden Betten, besonderen Mottos und Spiegel an den Decken zu umgehen. Das ausgewählte Hotel hatte zwar kein Auto als Bett, aber eine Menge Bewertungen, sah auf den Bildern ordentlich aus und sollte auch noch Ausländer aufnehmen. 
Als ich nun vor dem Besitzer stand, heißt es plötzlich, ich könne nicht bleiben. Ich bin verwirrt. Schließlich ist die Aussage in der Buchungsapp eine andere, und außerdem war es bisher in allen Hotels, waren sie noch so abgelegen, möglich. Ich beharre darauf, dass er die Polizei anrufen soll und die Registrierung nicht so kompliziert ist. Er will nicht so wirklich, aber ich habe auch keine Lust, mehr Geld zu bezahlen. Am Ende will die Polizei, dass ich zum Präsidium komme, um mich dort zu registrieren. Ich habe keine Ahnung, wo sie ist und ehrlich gesagt nach dem langen Tag auch keine Lust auf das ganze Gehampel. Ich probiere mir vom Besitzer zeigen zu lassen, wo ich hin soll. Wirklich funktionieren tut das aber auch nicht. Am Ende leiht er sich einen E-Roller und zeigt mir den Weg. Dort angekommen wird sich angeregt auf chinesisch unterhalten. Was genau vor sich geht, weiß ich auch nicht. Auf jeden Fall scheint keiner der fünf anwesenden Polizisten eine Ahnung zu haben, was zu tun ist, außer hinter dem Schalter zu rauchen. Ich zeige ihnen noch einen übersetzten Text, dass ich lange unterwegs bin und kein Geld für ein teures Hotel habe. Am Ende kommt ein weiterer Polizist, nicht in Uniform, sondern in einem etwas abgenutzten Germany-Sweatshirt. Den Zusammenhang zu meiner Nationalität stellt er nicht her. Ich glaube nicht, dass er wusste, was er dort trägt. Ich bekomme denselben Zettel wie gestern, fülle erneut alle wichtigen und unwichtigen Details aus. Halbherzig wird mein Pass durchgeblättert und danach nach meinem Visum gefragt. Ich zeige die entsprechende Seite und zwei Kopien später können wir gehen. Auf meinem Zettel wurde nichts weiter ausgefüllt vom Besitzer des Hotels. Ich frage mich, was das hier alles eigentlich soll. Es ist mir aber auch egal, die Hauptsache ist, dass ich nun endlich ins Bett kann.
Am Hotel angekommen, ist er überrascht, dass ich das Rad mit ins Zimmer nehmen will. Die günstige Alternative, die ich gerne wollte, ist wohl zu klein. Der Flur ist ziemlich schmuddelig, auf den Bildern im Internet sah es alles etwas besser aus. Positiv fällt mir aber der vermeintliche Teespender im Zimmer auf. Am Ende bezahle ich einen Euro mehr und bekomme ein größeres Zimmer. Ich schiebe mein Rad die Treppen hinauf, auch darin bin ich inzwischen trainiert. Danach nehme ich das Zimmer in Augenschein und würde am liebsten wieder gehen. Auch dieses Hotel ist eine Sexabsteige. Der Teespender ist nicht gefüllt mit Tee, sondern Einmalrasierern, Kondomen, Gleitgel und anderen Spielzeugen. An der Wand hängt eine halbnackte Frau, und der Spiegel ist zwar nicht oberhalb des Bettes, hat aber eine Menge Schmiere an sich, die mir sehr verdächtig aussieht. Die Bettwäsche sieht halbwegs sauber aus, ob sie aber frisch oder doch schon benutzt wurde, ist schwer zu sagen. Ich bin aber viel zu müde und habe keine Lust, mir den ganzen Stress erneut anzutun, also bleibe ich. Das klamme Handtuch aus dem Bad lasse ich Handtuch sein und nehme lieber mein eigenes, wer weiß, was es schon alles gesehen hat.
Im Restaurant nebenan bestelle ich ein Tofugericht. Noch bevor es kommt, werde ich an den benachbarten Tisch eingeladen und mir anderer Tofu vorgesetzt. Er ist sehr lecker und über Google-Übersetzer komme ich mit dem Chinesen dort ins Gespräch. Der Abend ist kurzweilig und das Essen gut. Die kulturellen Unterschiede oder fehlende Information über die Geschichte des anderen werden deutlich, als er mir sagt, dass er in seinem Herzen denkt Hitler ist ein Held, aber wirklich ernst nehme ich das nicht. Zurück im Zimmer probiere ich, dass so wenig meiner Sachen wie möglich mit dem Bett oder dem Boden in Kontakt kommen. Vielleicht dusche ich morgen früh direkt nochmal. Am Ende bin ich aber froh, einfach schlafen zu können.

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