​​​​​​​Die Nacht war richtig kalt. Ich habe in meinem Zelt: zwei Paar Socken, eine lange Thermo Unterhose und eine normale Hose, ein langärmliges Thermo Unterhemd, ein Tshirt, ein Longsleeve Pulli, meine warme Jacke und Regenjacke angezogen. Damit quasi fast alles was ich habe. Trotzdem ist mir etwas kalt. Mein Schlafsack ist mit einer Komforttemperatur von +5 Grad, perfekt für europäische Sommernächte, aber einfach nicht das richtige für die tadjikischen Berge. Jack erzählt mir, dass er nur in Boxershorts geschlafen hat, seine Füße müssen etwas kalt gewesen sein. Unsere Zelte sind komplett von Frost überzogen. Auch das Innenzelt ist gefroren. Durch den Tempeturunterschied vom Schlafsack zur Luft, ist auf diesem Wasser kondensiert, der ganze Sack ist etwas klamm.
Mein Plan war es eigentlich in der Seite vom Zelt zu kochen und so im warmen zu bleiben. Das Eis auf unseren Zelten, ist aber eine gute Möglichkeit für Fotos und so steige ich schnell heraus bevor die Sonne das Eis schmilzt. In der Sonne geht es von der Temperatur sogar. Zusätzlich habe ich eh noch meine ganzen Schichten an. Unsere Flaschen sind alle angefroren, ich habe meine in die Apside vom Zelt gestellt, daher geht es. Jack hat es schlimmer getroffen, er muss sie erstmal wieder auftauen. Ich koche mir einen Tee und Porridge. Alles ist heute Morgen etwas entspannter, auch wenn wir einen wirklich langen Tag vor uns haben.
Erst gegen zwanzig nach 10 kommen wir los. Gerade als wir an der Straße stehen, kommt ein Auto vorbei. Schon aus der Ferne sehe ich ein rotes Fahrrad und eine große gelbe Ortlieb Tasche. Direkt wissen wir, dass Annick im Auto sitzt und einen Weg gefunden hat weiter zu kommen. Im Auto sitzen noch mehrere Deutsche, die ich schon aus Duschanbe kenne. Sie hat Glück, dass sie dort mitfahren konnte, der Taxifahrer den das Gasthaus organisiert hatte, wollte 300€ für sie Strecke von ihr haben. Wir plaudern kurz, dann müssen wir los.
Heute steht mit 4300 Metern der zweithöchste Pass in Tadjikistan auf dem Programm. Wir starten auf 3500 Metern, trotzdem sind es am Ende über 1300 Höhenmeter die wir bewältigen müssen. Das ganze auf fast 90 Kilometern, damit wir die nächste Stadt mit einem warmen Bett und vernünftigem Essen erreichen. Beides etwas was ich nach der letzten Nacht gut gebrauchen kann. Der Tag wird jedoch lang und sehr anstregend, das Erreichen der Stadt eine wirkliche Herausforderung.
Als wir losfahren ist es schon warm, ich bin am überlegen die Beinlinge auszuziehen und in kurzer Hose zu starten. Ich lasse die Sachen aber dann doch lieber an. Wir sehen ein paar andere Bikepacker, die wir schon ein paar mal im Wakhan valley getroffen haben, überholen sie aber schnell und fahren zu zweit weiter. Es ist spürbar, dass wir hier weit von der Zivilisation entfernt sind. Nach den paar Autos am Morgen ist die Schotterstraße menschenleer, das weite Tal durch das wir fahren ohnehin frei von jeglicher Spur von Menschen. Wir kommen an einer Aussichtsplattform vorbei, wirklich vertrauenserweckend sieht sie aber nicht aus. Unsere Leben sind uns zu viel wert, wir entscheiden uns sie nicht zu besteigen.
Bis auf ein paar wenige Fotostopps halten wir nicht an. Zu sehr sind wir unter Zeitdruck. Unser Vorhaben, einen Stein über den Fluss nach Afghanistan zu werfen fällt dem ganzen auch zum Opfer. Wir hatten es uns fest für heute vorgenommen, ich wollte auch einen meiner Sticker auf den Stein packen, um sagen zu können, dass es sogar in Afghanistan einen meiner Sticker gibt. Wir verpassen den Moment, wo der Weg vom Fluss abbiegt und sind plötzlich viel zu weit weg. Vorher war der Fluss so klein, dass man einfach hätte herüber laufen können. Das Wasser war höchstens Knie hoch, aber so kalt dass schon das Waschen des Geschirrs nach dem Kochen wirklich unangenehm war. Nach dem ganzen Frieren in der Nacht musste das nicht sein. Auch wenn es die deutlich sichere Variante im Vergleich zum bestechen von afghanischen Grenzbeamten gewesen wäre.
Pünktlich zu unserer Erkenntnis, dass unser Vorhaben, trotz fast zwei Wochen voller Möglichkeiten dazu, gescheitert ist, verschwindet die Sonne hinter Wolken. Der Wind ist auch wieder stark und es wird kalt. Die Straße ist ebenfalls schlecht. Zum Teil sind neben dem eigentlichen Weg neue Spuren, wo Geländewagen einfach auf dem Sand gefahren sind um den konstanten Schlägen durch den ausgewaschenen Grund zu entgehen. Wirklich besser fährt es sich dort aber auch nicht. Hier fängt auch der 15 Kilometer lange Anstieg bis zum Pass an. Immerhin gibt es jetzt ein definitives Ziel, das es zu erreichen gilt. Meine Beine sind jedoch schon ziemlich angeschlagen und ich brauche eine Pause mit ordentlich Essen. Eine Pause bekommen wir am Militär Check-Point. Aus dem Internet wussten wir, dass dort gerne probiert wird Geld aus Touristen zu pressen. So sollte es auch kommen, im kalten Wind stehen wir vor der Schranke, der Soldat fragt ob wir Russisch sprechen. Als er merkt, dass wir es nicht können zeigt er auf unser Visum mit dem Permit für die Region und sagt nur Problema, zeigt auf die Schranke und sagt Niet. Unser Niet Problema bringt nichts. Er zeigt uns die Kopie eines Passes, darin ist das Permit welches man bekommt, wenn man in Duschanbe persönlich erscheint. Aussagen tut es aber das gleiche wie unser E-Visa. Wir sind uns sicher er weiß es auch, durch lässt er uns trotzdem nicht. Mit seinen warmen Sachen sitzt er am längeren Hebel als wir, bezahlen werden wir aber nichts. Wir haben Glück, der erste Radfahrer aus der Gruppe hinter uns spricht Russisch und vermittelt. Er macht dem Grenzposten klar, dass unser Visum in Ordnung ist und so können wir doch endlich passieren. Die Zeit für unsere Mittagspause ist vorbei, immerhin gibt es noch einen kleinen Bach in dem wir unsere Wasservorräte auffüllen können. Wirklich viel haben wir noch nicht getrunken fällt uns auf. Es ist halb 3, eigentlich bin ich schon fertig für Heute. Wir rechnen mit zwei Stunden Fahrt auf den Pass und nochmal etwas über Zwei für die 45 Kilometer mit der Abfahrt vom Pass und dem restlichen Stück nach Alichur. Ein großes Mittagessen gibt es nicht, mein Keks und Süßigkeiten Vorrat wird auch immer kleiner. Der Wind und die kalten Temperaturen laden aber ohnehin nicht zum verweilen ein.
Wir sind jetzt etwas unter 4000 Metern und die Höhe ist wirklich spürbar. Es ist beschwerlich, ich mache regelmäßige kleine Pausen und belohne mich mit immer weniger werdenden Keksen für die geschafften Höhenmeter. Die Strategie funktioniert und so komme ich irgendwann auf der Passhöhe an. Ein tollen Gefühl über 4300 Meter, höher als der höchste Berg in Europa. Und immernoch sind wir von noch höheren Bergen umgeben. Neben uns ist ein See, ein Passhöhenschild gibt es nicht. Die Natur ist unberührt, nur ein Steinhaufen mit einer Zahl draud verkündet das Ende des Anstiegs.
Nun beginnt die lang erwartete Abfahrt. Der erste Teil ist rau, aber gut fahrbar. Wir haben nochmal eine Schicht extra angezogen, Jack hat als Wind und Regenschutz lange gelbe Gummispülhandschuhe über seine normalem Handschuhe gezogen. Ich realisiere das nächste Stück an fehlendem Kälteequipment, Überhandschuhe für meine dünnen Decathlon Jogging Handschuhe wären sehr angenehm. Wirklich lange hält der Spaß in der Abfahrt jedoch nicht an. Der Weg wird plötzlich sandig, wir müssen, eher werden auf fast Schrittgeschwindigkeit abgebremst, unsere Räder fahren kaum noch gerade aus, sondern brechen permanent nach links und rechts aus. Weder macht es Spaß, noch kommen wir so schnell voran. Von nun an ist die Abfahrt eine Mischung aus tiefem Sand und ausgewaschener Huckelpiste, die kaum eine fahrbare Linie übrig lässt. Unser angepeilter 20 Kilometer pro Stunde Schnitt rückt in unerreichbare Ferne, auch dir warme Dusche und das Bett fühlen sich unendlich weit weg an. Inzwischen tut mir alles weh: der Hintern, die Handgelenke und vorallem der Nacken. Der Weg forderte großen Tribut. Unsere Hoffnung war, dass wir so bald wir auf die Hauptstraße des Pamir Highways kommen besserer Untergrund die Geschwindigkeit steigt. Trotzdem machen wir uns Gedanken, ob wir nicht doch lieber Zelten sollen. Die Temperatur, die inzwischen schon unter 0 Grad liegt und der fehlende Schutz gegen den kalten Wind, machen dies zu keiner wirklich angenehmen Alternative. Auch haben wir beide nur noch jeweils 2 Liter Wasser, was zum kochen und Spülen knapp reichen würde, aber kein Frühstück und auch nicht zu viel trinken ermöglichen würde.
Aber wir haben Glück, der M41 ist komplett asphaltiert und gutes Vorankommen gesichert. Es ist schon komplett dunkel als wir auf der Straße ankommen, aber wir entscheiden uns die 23 Kilometer noch zu fahren. Trotzdem haben wir noch 200 Höhenmeter zu bewältigen. Wir sind beide total leer gefahren, nur der Gedanke an ein warmes Gebäude treibt uns noch an. Ich finde die zerbröselten Überreste eines Kekses in einer Tasche. Herunter spülen mit Wasser ist unangenehm, auch das Wasser ist super kalt. Die Plastik Flasche ist komplett hart, auch hier zeigt sich die Kälte. Der Mond erleuchtet die Umgebung etwas, trotzdem müssen wir sehr aufmerksam fahren, überall auf der Straße sind tiefe Schlaglöcher. Annick zeigt uns später Bilder von der Umgebung, es sieht toll aus. Wir bekommen davon jedoch wenig mit. Eine letzte kurze Abfahrt, ein paar Schlaglöcher in voller Fahrt und ein ziemlich staubiger LKW später stehen wir am Anfang von Alichur. Die kleine Stadt wirkt im Licht unserer Scheinwerfer groß und dicht. Ein Bild, dass sich am nächsten Tag nicht bestätigen sollte. Mit klammen Finger kramen wir ein Handy hervor, um zu schauen wo Annick untergekommen ist. Das Homestay ist nicht mehr weit entfernt. Unsere fast zweistündige Fahrt durch die Dunkelheit hat ein Ende.
Erwartungsvoll kommen wir dort an, wir sind gespannt auf das Gesicht von Annick. Überraschenderweise sind die ganzen Deutschen auch dort. Alle sind sehr erfreut uns zu sehen, es ist bereits fast 8 Uhr und schon länger Dunkel. Annick hatte nie Zweifel, dass wir noch ankommen. Ein bisschen Sorge, dass wir vielleicht doch in der Kälte zelten, hatte sie aber doch. Der Fahrer ist am begeisterten, er hatte nicht gedacht dass wir es überhaupt schaffen würden. Die Deutschen dachten wir kommen erst weit nach 10 Uhr an.
Wir fallen entkräftet an den Tisch und bekommen Tee und tiefe Schüsseln mit Suppe vorgesetzt. Dazu gibt es frisches Brot, selbstgemachte Butter und Aprikosen Marmelade. Kaum nähert sich die Suppe dem Boden, wird uns die Schüssel abgenommen und neu befüllt, ein Traum. Geduscht wird im Raum neben an, in einem großem Eimer wird heißes und kaltes Wasser bis zur gewünschten Temperatur gemischt, ein kleiner Eimer wird zum schöpfen benutzt. Gestern war das Flusswasser zu kalt für eine richtige Wäsche, so fühlt es sich Heute umso besser an. Glücklich und warm gehen wir ins Bett, aus dem Nachbarraum hören wir einen der Deutschen, der sehr unter Höhenkrankheit leidet.
Schon am Abend sind wir uns einig, der Tag war unglaublich. Herausfordernd, belohnend und unwirklich, alles was den perfekten Tag auf dem Rad ausmacht. Die russischen Radfahrer kommen einen Tag später an. Sie haben für die selbe Strecke zwei Tage gebraucht. Es war ein epischer Tag, von dem wir noch lange erzählen werden.
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